Der allererste Start der 11O Meter hohen Saturn V in Cape Canaveral. Bei der Saturn V kam es dank der Umsicht und Gründlichkeit ihres Projektleiters Arthur Rudolph nie zu einem Fehlstart. Bild: NASA

Wernher von Braun: Der Kolumbus des Weltraums

„,Wir leben in einer Demokratie‘, pflegte Wernher von Braun zu sagen, ,in der der Wille und die Stimme der Menschen zählen. Wenn du etwas so Großes wie die Raumfahrt verwirklichen willst, musst du die Menschen für deine Idee gewinnen. Diplomatisch zu sein, ist notwendig, aber es reicht nicht. Du musst von dem brennenden Wunsch erfüllt sein, deine Idee lebendig werden zu lassen. Du musst einen absoluten Glauben an die Richtigkeit deiner Sache haben und – an deinen schließlichen Erfolg. Kurzum, man muss eine Art Prediger sein!‘“((Stuhlinger und Ordway 1992, S. 173.))

Wernher von Braun war die Schlüsselfigur im erfolgreichen Bemühen der USA, Menschen auf den Mond zu bringen. Sein Lebensziel, möglichst viele Menschen für die Raumfahrt zu begeistern, veranlasste ihn schon in den zwanziger Jahren, Hermann Oberth zu helfen, öffentliche Raumfahrtausstellungen in Deutschland zu organisieren. Bis weit in die sechziger Jahre hinein blieb er für die breite Öffentlichkeit das Sprachrohr der Weltraumfahrt.

Von 1960 bis 1970 leitete von Braun das Marshall-Raumfahrtzentrum in Huntsville, wo die Mondrakete Saturn V entwickelt wurde. Sein Talent beschränkte sich nicht darauf, komplexe Unternehmungen meisterhaft zu leiten und schwierige Konzepte der breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen. Wernher von Braun besaß einen visionären Weitblick; und er verstand es auch, andere mit seinen Visionen zu erfüllen. Bei kniffligen Problemen der Raketentechnik konnte er bis in Einzelheiten reichende Lösungsvorschläge machen, war aber gleichzeitig in der Lage, bei Anhörungen im Kongress die Abgeordneten für das Apollo-Programm oder eine bemannte Mission zum Mars zu erwärmen. Er war in den besten Tagen des amerikanischen Raumfahrtprogramms ein so glaubwürdiger und gefragter Fürsprecher, weil er selbst grundlegende Beiträge geleistet und andere dafür begeistert hatte. Befähigt hat ihn für diese Zukunftsaufgabe, dass er an ihrer Verwirklichung selbst schon dreißig Jahre gearbeitet hatte.

Am 1. Juli 1960 nahm das Marshall-Raumfahrtzentrum in Huntsville offiziell die Arbeit auf. 4670 Zivilangestellte, die seit zehn Jahren als die Mannschaft von Brauns in der ABMA gearbeitet hatten, wurden in die neugeschaffene Nationale Raumfahrtbehörde NASA übernommen.

Vier Monate später wurde John F. Kennedy zum Präsidenten gewählt. Schon im Frühjahr 1961 zwangen politische Ereignisse wie das Fiasko der missglückten Invasion in der kubanischen Schweinebucht den Präsidenten, den politischen Kurs des Landes grundlegend zu überdenken. Es musste etwas geschehen, um mit den Sowjets auf dem Gebiet von Wissenschaft und Technik gleichzuziehen und die stagnierende Wirtschaft anzukurbeln. Niemand konnte leugnen, dass die Sowjets dem Westen in der Weltraumfahrt weiter den Rang ablaufen würden. Und dann gelang es den Sowjets auch noch, am 12. April 1961 Juri Gagarin als ersten Menschen in den Weltraum zu schießen.

Wenige Tage nach diesem spektakulären Ereignis beauftragte Kennedy seinen Vizepräsidenten Lyndon B. Johnson damit, Amerikas Position im Wettrennen ins All abzustecken. In seinem Memorandum heißt es: „Mit Bezug auf unser Gespräch möchte ich Sie als Vorsitzender des Rates für die Raumfahrt bitten, ein umfassendes Gutachten über unseren Stand in der Weltraumforschung erarbeiten zu lassen.“ Unter anderem stellte Kennedy folgende Fragen:

„Haben wir Aussicht, die Sowjets zu überflügeln, indem wir ein Laboratorium in den Weltraum bringen oder indem wir den Mond umrunden oder indem wir eine Rakete auf dem Mond landen lassen oder indem wir eine bemannte Rakete zum Mond und sicher wieder zurück bringen? Gibt es andere Weltraumunternehmungen, die dramatische Ergebnisse versprechen und wo wir die Nase vorn haben können?… Wie hoch sind die zusätzlichen Kosten?… Unternehmen wir diesbezüglich die größtmöglichen Anstrengungen? Lassen sich die nötigen Resultate erreichen?“

In der Antwort, die Johnson dem Präsidenten am 29. April überreichte, stellte von Braun fest, dass die Sowjets über eine Rakete verfügen, „die 7000 Kilogramm Nutzlast in eine Umlaufbahn bringen kann“. Im Vergleich dazu schaffe die amerikanische Redstone-Rakete, welche die Mercury-Kapsel transportiert hatte, nur knapp 2000 Kilogramm. Mit der Schubkraft ihrer Raketen könnten die Sowjets mehrere Astronauten gleichzeitig in eine Umlaufbahn bringen. Sie könnten sogar eine unbemannte, weiche Landung auf dem Mond durchführen oder eine gewaltige Nutzlast auf eine Mondumlaufbahn schießen, und diese dann wieder zur Erde zurückbringen.

Um allerdings einen Menschen auf den Mond und wieder zur Erde zurückzubringen, wäre eine etwa zehnmal stärkere Rakete, als sie den Sowjets bisher zur Verfügung steht, nötig, schätzte von Braun.

„Wir haben eine faire Chance, vor den Sowjets eine dreiköpfige Besatzung auf eine Mondumlaufbahn zu schicken (1965/66) … und wir haben eine exzellente Möglichkeit, den Sowjets bei der Landung einer ersten Mannschaft auf dem Mond (natürlich mit der Möglichkeit, sie zurückzubringen) zuvorzukommen.

Mit einem umfassenden Sofortprogramm könnten wir dieses Ziel, so schätze ich, 1967/68 erreichen… Dafür wären im Haushaltsjahr ’62 über eine Milliarde US-Dollar erforderlich… und in den folgenden Haushaltsjahren eine Steigerung des notwendigen Etats um das Doppelte oder mehr…

Meiner Meinung nach wäre es am wirkungsvollsten, um unsere Lage auf dem Gebiet der Raumfahrt zu verbessern und die Angelegenheit zu beschleunigen, wenn wir einige wenige Ziele (je weniger, desto besser) unseres Raumfahrtprogrammes zu nationalen Aufgaben höchster Dringlichkeit erklären und alle anderen Punkte zurückstellen… (Zum Beispiel: lasst uns einen Menschen 1967 oder 1968 auf dem Mond landen.)

Keinen Monat später, am 25. Mai 1961, verkündete Präsident John F. Kennedy die Absicht Amerikas, noch vor Ende des Jahrzehnts „einen Menschen auf den Mond und wieder sicher zurück zur Erde zu bringen.“ Kennedys Ankündigung des Apollo-Programms löste die größte Mobilmachung von Wissenschaft und Technik aus, die je eine Nation in Friedenszeiten unternommen hat.

Dass von Braun ein ebenso guter Politiker wie technischer Ratgeber gewesen ist, bescheinigte ihm sein Kollege Hermann Koelle in einem Interview:

„Von Braun war an diesem Entscheidungsprozess mitbeteiligt, denn Vizepräsident Johnson war ihm wohlgesonnen. Johnson hatte von Braun im Rahmen seiner Wahlkampagne eingeladen, bei einer Wahlveranstaltung zu seinen Anhängern zu sprechen. Von Braun begann diese Rede mit den Worten: ,Dank des größten Texaners aller Zeiten, Lyndon Johnson…‘ Das verschaffte ihm einen guten Draht zu Johnson und über den wurde er auch [an dem Programm] beteiligt. Außerdem hatte von Braun die nötigen Fakten zur Hand. Was von Braun sagte, hatte Hand und Fuß.“

Dr. Brainerd Holmes, der während des Apollo-Programms die NASA-Abteilung für bemannte Weltraumfahrt leitete, sprach Jahre später über von Brauns damalige Rolle:

„Zweifellos hatten die Deutschen Einfluss auf unsere Entscheidung, zum Mond zu fliegen… Ich denke, von Brauns Brief [an US-Vizepräsident Johnson] hatte großen Einfluss auf die Entscheidung von Präsident Kennedy… es gab niemanden, der wie von Braun war. Er war eine einmalige Persönlichkeit, und er war die treibende Kraft für die Entwicklung der Raumfahrt und für den Weg zum Mond.“((Stuhlinger und Ordway 1992, S. 376.))

Präsident John F. Kennedy bei seiner historischen Rede am 25. Mai 1961, in der er vor dem Kongress ankündigte, die Vereinigten Staaten werden „einen Menschen auf den Mond und wieder sicher zurück zur Erde bringen.“ Die Rede basiert auf einem Momorandum über Perspektiven der zivilen Raumfahrt, das Wernher von Braun knapp ein Monat zuvor an den Präsidenten gerichtet hatte.
Präsident John F. Kennedy bei seiner historischen Rede am 25. Mai 1961, in der er vor dem Kongress ankündigte, die Vereinigten Staaten werden „einen Menschen auf den Mond und wieder sicher zurück zur Erde bringen.“ Die Rede basiert auf einem Momorandum über Perspektiven der zivilen Raumfahrt, das Wernher von Braun knapp ein Monat zuvor an den Präsidenten gerichtet hatte.

Auf welche Weise man auf den Mond kommen wollte, war die Hauptfrage, die beantwortet werden musste, ehe man mit dem Apollo-Programm beginnen konnte. Im Prinzip gab es drei Möglichkeiten.

Die erste war der direkte Weg. Um aber Mannschaft, Treibstoff, Ausrüstung und Versorgung von der Erde direkt zur Mondoberfläche und von dort wieder zurück zur Erde zu befördern, hätte man ein noch leistungsfähigeres Antriebsgerät gebraucht, als es die Saturn später wurde. Das ganze Unternehmen hätte dem geglichen, was der Film Frau im Mond 1929 zu zeigen versuchte. Man kam aber allgemein zu der Einsicht, dass sich ein solches Trägersystem in dem von Kennedy vorgegebenen Zeitplan nicht verwirklichen ließ.

Die zweite Möglichkeit war ein Rendezvousverfahren auf der Erdumlaufbahn (EOR), wie es der Kreis um von Braun befürwortete. Nach dieser Vorstellung sollten wenigstens zwei Saturn-Flüge Raumschiff und Astronauten in eine Erdumlaufbahn bringen. Das Flugschiff zum Mond würde dort zusammengebaut, bemannt und zum Mond und wieder zur Umlaufbahn zurückgebracht.

Schließlich gab es als dritten Vorschlag ein Rendezvousverfahren auf einer Mondumlaufbahn (LOR). Ein kleineres Apollo-System sollte mit einer Saturn-Rakete zum Mond fliegen, einen Raketenteil in eine Umlaufbahn bringen und mit dem anderen Teil auf dem Mond landen. Nach dem Spaziergang auf der Mondoberfläche sollte dieser Teil wieder zum Mutterschiff auf die Mondumlaufbahn zurückkehren, dort andocken und den Rückflug zur Erde antreten.

Das Raumschiffzentrum in Houston hatte große Bedenken, ob sich eine Ankoppelung zweier Raumschiffe auf einer Mondumlaufbahn über 400.000 Kilometer von der Erde entfernt würde durchführen lassen. Auch von Brauns Team widersprach dieser Lösung, denn man dachte bereits an die nächsten Schritte in der Raumfahrt, und das war der Bau einer ständigen Raumstation im Erdorbit. Die Station sollte zum Auftanken, zur Endmontage von Raumschiffen und deren Zwischenüberprüfung ebenso dienen wie zur ständigen Beobachtung der Erdoberfläche.

Von Braun war sich jedoch darüber im klaren, dass es für die Sache insgesamt wichtiger war, die geplante Mondlandung in dem vorgesehenen Zeitraum erfolgreich durchzuführen, als die von ihm schon 10 Jahre zuvor entworfene Raumstation zu bauen. Man musste Kompromisse eingehen und die Zusammenarbeit zwischen den untereinander wetteifernden NASA-Forschungsstellen fördern.

Bei einem Treffen mit der NASA-Führung aus Washington am 7. Juni 1962 im Marshall-Raumfahrtzentrum sprachen sich alle Referenten des Stabes „eindeutig für das EOR-Konzept“ aus.((Murray and Cox 1989, S. 139.)) Doch „zur großen Überraschung der meisten Anwesenden“, auch seiner eigenen Mitarbeiter, erklärte von Braun plötzlich, sein Stab würde von nun an das LOR-Konzept unterstützen. „Er regte dann aber sehr energisch an (um der geringen Ausbaufähigkeit dieses Konzepts entgegenzuwirken), zusätzlich ein unbemanntes, vollautomatisches Ein-Weg-Fahrzeug zu entwickeln“, um damit die Transportinfrastruktur zu erweitern, und die Grundlage für die Fortsetzung des Mond-Programms zu legen.((Logsdon 1971, S. 68.))

„Nachdem vielen ins Gewissen geredet worden war“, kamen das Raumschiffzentrum in Houston und das Marshall-Raumfahrtzentrum überein, dem LOR-Konzept den Vorzug zu geben, bemerkte von Braun. Dies sollte der NASA in Washington zusätzlich die Gewissheit geben, „dass wir uns mit unseren Vorschlägen nicht zu weit vom Erforderlichen entfernten“.((Ebenda.))

Die Übereinkunft innerhalb der NASA hieß jedoch nicht, dass es in der Kennedy-Administration gegen das Projekt keinen Widerstand mehr gegeben hätte. Der Wissenschaftsberater des Weißen Hauses Dr. Jerome Wiesner widersetzte sich von Anfang an Kennedys Apollo-Programm. Als es dann beschlossen war, bekämpfte er die LOR-Lösung, auf die sich die NASA geeinigt hatte. Der Historiker John Logsdon berichtet, NASA-Chef James Webb habe mit seinem Rücktritt für den Fall gedroht, sollte sich der Präsident nicht hinter die NASA-Entscheidung stellen.((Logsdon 1971, S. 69.)) Der Präsident unterstützte die NASA, und am Jahresende 1962 befand sich Amerika endlich auf dem Weg zum Mond.

Wernher von Braun war sich der Tragweite der übernommenen Aufgabe durchaus bewusst. Er wusste auch, dass sich die amerikanische Gesellschaft ändern musste, damit das Programm verwirklicht werden konnte. In einem Vortrag vor dem Ausschuss für Bildung und Arbeit des Repräsentantenhauses am 14. Mai 1958 beklagte er sich über die mangelhafte naturwissenschaftliche Bildung in Amerika und verglich seine eigene Ausbildung in Deutschland mit den derzeitigen Zuständen an amerikanischen Schulen.

„Der Jugend lässt sich schwerlich ein Vorwurf machen, wenn sie sich während der Schulzeit Dingen zuwendet, die überall verherrlicht werden. Kaum eine Zeitung in diesem Land wartet nicht mit einer oder mehreren Sportseiten auf. Die Berichterstattung in Radio und Fernsehen steht dem in nichts nach. Aber finden Sie dort einen Wissenschaftsteil oder eine Seite für Mathematik?“

Einen Monat zuvor hatte von Braun auf einer Pressekonferenz in Chicago gesagt:

„Es wird sich herausstellen, ob eine Nation, die ihre Baseball- und Football-Stars über ihre Wissenschaftler und Philosophen stellt, im scharfen Wettkampf mit dem aggressiven Kommunismus bestehen kann, ohne ihren Lebensstil zu ändern.“((Von Braun 1958a, S. 5.))

Wenn man vor der Notwendigkeit stehe, „Werturteile“ zu treffen, so empfahl von Braun den Politikern:

„Streichen Sie Dinge aus dem Lehrplan, die nicht unbedingt wichtig sind. Meiner Meinung nach wird praktisch in allen amerikanischen Schulen viel zuviel Zeit mit Dingen vertan, die man soziale Anpassung, Geschlechterbeziehung, Schönheitspflege, Verkehrserziehung und ähnliches nennt. Zuwenig Zeit steht für ernsthaftes Lernen, für Mathematik, Physik und Chemie und dergleichen zur Verfügung.“

Von Braun zeigte sich davon überzeugt, dass der Trend zur Konformität in der US-amerikanischen Kultur und die Ablenkung durch die Massenmedien mit einer konsequenten Bildungspolitik zurückgedrängt werden könnte. Jugendliche müssten ermutigt werden, Forscher werden zu wollen, die „selbständig wissenschaftliche Aufgabe lösen können“.

Doch nicht zum Mond?

Die Angriffe auf das amerikanische Raumfahrtprogramm gingen vor allem von Denkfabriken, linken Sozialgruppen und Finanzkreisen aus. „Volksnahen“, aber nichtsdestoweniger bornierten Widerstand bauten religiöse Gruppen, Wohlfahrtsverbände, Bürgerrechtsorganisationen und Wissenschaftler auf, die eigentlich die natürlichen Verbündeten bei der Erforschung des Weltraums hätten sein müssen.

Der Sputnikstart ließ die Ideologen der postindustriellen Gesellschaft aufhorchen, denn plötzlich stellte das Institute for Social Research in einer Studie fest, dass vier von fünf Befragten die Meinung vertraten, die Welt werde mit Hilfe der Wissenschaft lebenswerter.((Freeman 1980, S. 34.)) Auch beunruhigte es die Kulturpessimisten zu erfahren, dass Teile der amerikanischen Geschäftswelt glaubten, das Weltraumprogramm würde das wirtschaftliche Wachstum stimulieren.

Ihr Unbehagen wuchs, als das Apollo-Programm zur vordringlichen nationalen Aufgabe erhoben wurde. Mitte der 60er Jahre behauptete das Londoner Tavistock-Institut in seinem Organ Human Relations, das amerikanische Weltraumprogramm würde ein „überflüssiges Heer“ von Wissenschaftlern und Ingenieuren hervorbringen. „Bald kämen auf jeden Mann, Frau und Hund zwei Wissenschaftler“, hieß es in einem Bericht.((Burdman 1980, S. 42.))

Weitere Argumente wurden in Umlauf gebracht: Das Raumfahrtprogramm ziehe Mittel ab, die besser zur Überwindung der Armut, den Wiederaufbau der Städte, die Gesundheitsfürsorge oder die Entwicklungshilfe eingesetzt werden könnten.

Wernher von Braun übernahm es selbst, gegen die Neinsager zu argumentieren, ihnen die, Komplexität des Mondlandeprogramms darzulegen und immer wieder darauf hinzuweisen, welche Vorteile die technischen Neuerungen für die Allgemeinheit mit sich brächten. Er versuchte vor allem die Jugend für die Zukunft im All zu begeistern und verteidigte sich selbst und seine aus Deutschland stammenden Kollegen denjenigen gegenüber, die in der neuen Aufbruchsstimmung eine Bedrohung für die bestehende Ordnung sehen wollten.

Zwischen 1963 und 1973 veröffentlichte Wernher von Braun jeden Monat einen allgemeinverständlichen Beitrag über Weltraumthemen in der Zeitschrift Popular Science. Er hielt vor den verschiedensten Bevölkerungsgruppen Vorträge über die Bedeutung des Weltraumprogramms, 1961 zum Beispiel vor dem Bundesverband der Grundstücksmakler, der Gesellschaft der Automobilingenieure, der Bäckerei-Innung, dem Parlament des Staates Alabama, dem Verband der Bauindustrie und Dutzenden anderen Organisationen von Geschäftsleuten, Gewerkschaften, Abgeordneten, Berufsverbänden unter anderen.

Immer wieder verwies er darauf, dass der wirtschaftliche Nutzen der neuen Techniken, die das Raumfahrtprogramm hervorbringen werde, unermesslich sei. Künftig ließen sich mit neuen Fernerkundungssatelliten auf der Erde Rohstofflager finden und die Arbeitsbedingungen für die Landwirtschaft verbessern. Mit Hilfe von Kommunikationssatelliten ließen sich Bildungsprogramme in die entlegensten Gebiete senden und eigene Programme für Minderheiten ausstrahlen. Neu entwickelte Werkstoffe, Fertigungsverfahren und Produkte würden in Amerika und weltweit den Lebensstandard anheben.

Wenn auch der US-Kongress John F. Kennedys Initiative zur Mondlandung mit Beifall aufgenommen hatte, so beschnitt er bereits nach nur drei Monaten den dafür im Haushaltjahr 1962 vorgesehenen Posten von 1,5 Milliarden US-Dollar um 75 Millionen. Von Braun erklärte, dass dieser scheinbar kleine Einschnitt der NASA die Möglichkeit nehme, 600 Leute für Planungsaufgaben einzustellen, um „herauszufinden, an welchen Stellen das Geld vernünftiger einzusetzen“ wäre. Er warnte, die Haushaltskürzung könnte das Apollo-Programm zeitlich verzögern.

Von Braun war sich bewusst, dass der Kampf nicht nur in den Gängen der Macht, sondern auch mit dem amerikanischen Volk geführt werden müsse. In einem 1960 erschienenen Roman Erste Fahrt zum Mond beantwortete er Fragen, die ihm immer wieder gestellt wurden. Die erste davon war: „Die Heimat des Menschen ist die Erde. Dringen wir nicht in Gottes Reich ein, wenn wir uns zum Flug durch den Raum anschicken?“((Von Braun 1960a, S. 11.))

Seine Antwort war eine Gegenfrage:

„Warum sollte er dagegen sein, wenn wir von einem Planeten seines Reiches nach einem anderen reisen? Er erfüllte uns mit Neugier und Wissendurst, und er befähigte uns, das nötige Wissen und Können zur Befriedigung unserer Neugier zu erwerben. Wollte Gott wirklich, dass der Mensch auf der Erde bleibt, dann hätte er, dessen bin ich sicher, eine unüberwindliche Schranke errichtet und uns den Mut genommen, diese jemals zu überschreiten.“

Da er aber nur ein Laie sei, es sich hier aber um grundlegende theologische Fragen handelte, zitierte er eine Ansprache, die Papst Pius XII. 1956 vor einer Delegation des 7. Internationalen Astronautischen Kongresses in Rom gehalten hatte:

„Der Herrgott, der ins Menschenherz den unersättlichen Wunsch nach Wissen legte, hatte nicht die Absicht, dem Eroberungsdrang des Menschen eine Grenze zu setzen, als er sagte: ,Machet euch die Erde Untertan!‘ (Gen. 1,28). Es ist die ganze Schöpfung, die er ihm anvertraut hat und die er dem menschlichen Geist anbietet, damit er darin eindringe und dadurch immer tiefer die unendliche Größe seines Schöpfers verstehen lerne. Während sich der Mensch bisher sozusagen auf die Erde verbannt fühlte und sich mit Bruchteilen von Wissen über das Universum zufriedengeben musste, scheint nun die Gelegenheit gekommen zu sein, die Schranken niederzulegen und neue Wahrheiten und Erkenntnisse zu erlangen, die Gott der Welt im Übermaß gegeben hat.“((Von Braun 1960a, S. 12 f.))

Die Stellung des Menschen im Universum ist auch eine grundsätzliche religiöse Frage. Das Bild zeigt eine Audienz der Apollo-11-Astronauten bei Papst Paul VI. am 16. Oktober 1969, drei Monate nach der Mondlandung. Bild: NASA
Die Stellung des Menschen im Universum ist auch eine grundsätzliche religiöse Frage. Das Bild zeigt eine Audienz der Apollo-11-Astronauten bei Papst Paul VI. am 16. Oktober 1969, drei Monate nach der Mondlandung. Bild: NASA

Die damals aufkommende Bürgerrechtsbewegung der USA, die sich für Menschenrechte und gleiche wirtschaftliche Chancen für alle einsetzte, verhielt sich gegenüber dem ebenfalls noch jungen Raumfahrtprogramm überaus engstirnig. Noch am Vorabend der Apollo-11-Mission kam es im Juli 1969 zu Zusammenstößen. Dr. Thomas Paine, der damals die NASA leitete, schrieb darüber in 21st Century, Science & Technology, Ralph Abernathy habe einen „Hungermarsch“ zur Abschussrampe in Cape Canaveral organisiert und bei der Demonstration ein Spruchband mit der Aufschrift mitgeführt: „12 US-Dollar pro Tag, um einen Astronauten zu ernähren, mit 8 US-Dollar könnte ein hungriges Kind gesättigt werden“.((Paine 1989, S. 31.))

Über sein Treffen mit Pfarrer Abernathy heißt es dann weiter:

„Ich sagte ihm, er repräsentiere eine der großen Bewegungen in Amerika und eines der wichtigsten Anliegen Amerikas. Dann machte ich ihm deutlich, dass Wissenschaft, Technik und Forschung – die Erschließung neuer Gebiete – ebenfalls ein wichtiges Vermächtnis Amerikas seien und dass die Pioniere und Entdecker wahrscheinlich mehr für die Obdachlosen und Hungrigen in der Welt getan hätten als all die anderen, die die Hände in den Schoß gelegt haben. Ich machte ihm klar, dass wir genauso stolz auf unsere Arbeit sind, wie er auf seine“.

Der NASA-Chef lud die Protestierer ein, den Start am nächsten Morgen auf der Zuschauertribüne zu verfolgen. Und auch Pfarrer Abernathy änderte seine Meinung. Er brachte zum Ausdruck, dass sie nicht gekommen seien, „um gegen die Mondrakete zu protestieren… Im Gegenteil seien sie als Amerikaner sehr stolz darauf, an dem großen morgigen Tag Teil haben zu können.“

Zum Start von Apollo 11 hatten sich in Cape Canaveral über eine Million Schaulustige eingefunden. Etwa 20.000 verfolgten den Start von den Tribünen aus, darunter 3500 Reporter und Fotografen aus 56 Ländern.((Freeman 1989a, S. 18.)) „Wie alle anderen auch“, berichtete Dr. Paine „haben die Protestler geklatscht, geschrien und sich von ganzem Herzen gefreut. Ich glaube, sie sind mit der Überzeugung in ihr Lager zurückgekehrt, dass die Mondrakete auch ihre Zukunftshoffnungen mit sich trug.“((Paine 1989, S. 31.)) Kann man sich bessere Verbündete im Kampf um eine bessere Zukunft wünschen als Leute, die nach neuen Möglichkeiten suchen?

Die Hasskampagne gegen die Deutschen

Vor Beginn des Apollo-Programms hatte die Sowjetunion auf allen Gebieten der Raumfahrt einen beachtlichen Vorsprung. Aber, wie Wernher von Braun in seinem Memorandum an Kennedy 1961 geschrieben hatte, musste ein Land, das Menschen auf den Mond bringen wollte, eine Rakete entwickeln, die erheblich größer war als alle bisherigen Raketen. Es sollte sich erweisen, dass die Sowjets hierbei nicht mithalten konnten.

Im Wettlauf zum Mond setzte die UdSSR nicht nur ihre technischen und organisatorischen Fähigkeiten, sondern auch Mittel psychologischer Kriegführung ein. Um das amerikanische Weltraumprogramm in misskredit zu bringen, wählten sich die Sowjets zum Hauptziel ihrer Angriffe den bekanntesten und beredtsten Sprecher des Programms – Wernher von Braun.

1963 wurde seitens der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten der erste systematische Versuch unternommen, die deutschen Raumfahrtwissenschaftler als „Nazis“ zu verleumden. Eine der zwielichtigsten Gestalten der ehemaligen DDR, Julius Mader, veröffentlichte im Deutschen Militärverlag eine Biographie über Wernher von Braun mit dem Titel Geheimnis von Huntsville. Die wahre Karriere des Raketenbarons Wernher von Braun.

Mader war den westlichen Geheimdiensten nicht unbekannt. Seine Spezialität war es, „Nazis“ in politischen Organisationen der Bundesrepublik, insbesondere in den westdeutschen Abwehrdiensten, aufzudecken. Folgende Titel seiner Bücher sprechen für sich: Who’s who in CIA (1968), Nicht länger geheim: Entwicklung, System und Arbeitsweise des imperialistischen deutschen Geheimdienstes (1969), Neokolonialistische Praktiken der BRD gegenüber Namibia (1978) und CIA in Europa: Wesen und verbrecherisches Wirken des Geheimdienstes der USA (1982).

In seiner Biographie leitete Mader die angeblichen nationalsozialistischen Wurzeln von Brauns aus der Verbindung seiner Familie zum preußischen Militär ab, entsprechend offizieller DDR-Geschichtslesart, „Preußentum“ mit „Militarismus“ und „Nazismus“ gleichzusetzen. Tatsächlich aber kam der größte Widerstand gegen den Nationalsozialismus aus den Reihen preußischer Familien, die die Stützen des Wilhelminischen Staats gewesen waren. Wie manch anderer auch hatte von Brauns Vater seine Regierungsämter niedergelegt, als die Nationalsozialisten die Macht ergriffen.

Neben zahllosen Lobgesängen auf die Errungenschaften der großen Sowjetunion auf dem Gebiet der Raumfahrt – natürlich ausschließlich für friedliche Zwecke – vermischt Mader Lügen mit Halbwahrheiten so, dass von Braun als ein rücksichtsloser Kriegstreiber erscheint, der Raumfahrt nur zum Zweck wirksamerer Massenvernichtung betrieb. Alles, was nicht in dieses Bild passt, lässt er weg, zum Beispiel den Kampf zwischen Wehrmacht und SS über die Kontrolle des Raketenprogramms in Peenemünde. Er deutet sogar an, von Braun könnte an dem Mordanschlag auf Klaus Riedel in Peenemünde beteiligt gewesen sein, ohne dabei zu erwähnen, dass Klaus Riedel und von Braun in gemeinsamer Gestapohaft saßen, weil sie sich gegen die militärische Nutzung der Weltraumforschung ausgesprochen hatten.

Mader wollte hauptsächlich von Brauns „Besessenheit“ herausstellen, „kosmische Waffensysteme“ zu entwickeln, was auch im Apollo-Programm zum Ausdruck komme. Insbesondere empört sich Mader über die Redstone, die Honest John, die Corporal und die Nike – alles Raketen, die angeblich von Braun in Amerika zur Abwehr möglicher sowjetischer Angriffe auf Westeuropa entwickelt hätte.

In der Zeitschrift DDR in Wort und Bild schrieb Mader 1963: „Bald tauchten diese neuen Aggressionswaffen im gesamten NATO-Bereich auf, die westdeutsche ,Bundeswehr‘ droht mit ihnen, sie wurden in Italien, in der Türkei, in Griechenland und bis in den fernen Osten, rund um das sozialistische Lager abschussbereit montiert.“ Der aggressiven Haltung der Amerikaner stellt er die „friedliche Nutzung des Alls“ seitens der Sowjets entgegen.

Trotz des Störfeuers aus dem Kreml kam das Apollo-Programm zügig voran.

Mit der Saturn zum Mond

Wernher von Brauns Team in Huntsville wurde die langersehnte Aufgabe übertragen, eine Rakete zu entwerfen, zu bauen, zu testen und schließlich zu starten, die den ersten Menschen zum Mond bringen würde.

An der Saturn V beeindrucken vor allem die Ausmaße. Sie überragt selbst die Freiheitsstatue und besteht aus mehr als 1 Million Einzelteilen. Sie wurde in Cape Canaveral im damals größten umbauten Gebäude der Welt aufrecht stehend zusammengebaut und vom größten Fahrzeug, das sich auf der Erde bewegte, dem „Crawler“, zur Abschussrampe gebracht. Die Antriebssysteme der Saturn V erzeugten zusammen 85mal so viel Leistung wie der Hoover-Staudamm in den USA.

Ein Raketensystem, das 99prozentige Zuverlässigkeit erreichen soll, verlangt peinlich genaue Sorgfalt, ausgefeilte Funktionsprüfungen, strengste Qualitätskontrollen und neue Leitungsfunktionen, um die über 20.000 Zulieferbetriebe und 7000 Angestellten zu kontrollieren und ihre Arbeit aufeinander abzustimmen. Projektleiter der Saturn V wurde einer von von Brauns ältesten und fähigsten Gefährten, Arthur Rudolph. Die gesamte Betriebsorganisation, die für die Saturnrakete entwickelt wurde, war so erfolgreich, dass es tatsächlich nie einen Fehlstart gab. Das war der Grundstein für den Erfolg des gesamten Apollo-Programms.

Der allererste Start der 11O Meter hohen Saturn V in Cape Canaveral. Bei der Saturn V kam es dank der Umsicht und Gründlichkeit ihres Projektleiters Arthur Rudolph nie zu einem Fehlstart. Bild: NASA
Der allererste Start der 11O Meter hohen Saturn V in Cape Canaveral. Bei der Saturn V kam es dank der Umsicht und Gründlichkeit ihres Projektleiters Arthur Rudolph nie zu einem Fehlstart. Bild: NASA

Von Brauns Biographen schreiben dazu:

„Wenn von Braun über Management sprach, zitierte er manchmal Admiral Hyman Rickover, den Vater des Atomunterseebootes: Als Rickover gefragt wurde, wie, um alles in der Welt, er diese hervorragenden Manager gefunden hatte, die ihm beim Bau der Nautilus halfen, antwortete er: ,Ich stelle überhaupt keine Manager ein; ich engagiere verdammt gute Ingenieure, und wenn ich sie gut genug kenne, mache ich einige davon zu Managern.‘“((Stuhlinger and Ordway 1992, S. 365.))

Von Braun organisierte das Marshall-Raumfahrtzentrum ähnlich wie die Heeresversuchsanstalt in Peenemünde. Jede technische Abteilung unterstand einem bewährten Wissenschaftler oder Forschungsingenieur, und jede dieser Abteilungen war für einen wesentlichen Technikbereich zuständig, u. a. für Lenkung und Steuerung, Aeroballistik, Struktur- und Materialforschung, Qualitätskontrolle, Herstellung, Testverfahren, Computer und Forschung.

Für ein Projekt von der Größenordnung der Saturn waren aber einige Abänderungen unerläßlich. Die Position des Projektleiters wurde herausgehoben, so dass Rudolph unmittelbar von Braun unterstand. Die offizielle NASA-Chronik würdigt besonders die Leistung von Arthur Rudolphs Leitungszentrale:

„Von der minutiösen Beschaffung unzähliger Einzelteile für die Saturn-Fahrzeuge war sogar NASA-Chef James Webb beeindruckt, der selbst ein anerkannter Organisator war. Man würde vereinfachen, beschriebe man die Betriebsleitung des Marshall-Raumfahrtzentrums nur als außergewöhnlich gründlich. Angesichts der Vielzahl von Auftragnehmern und ihren Armeen von Zulieferern und Einkäufern war jedoch die Uhrwerkpräzision und die Zuverlässigkeit der Saturn-Raketen beachtlich. Gewissenhafte Detailgenauigkeit und deren Abverfolgung waren das Markenzeichen des Marshall-Raumfahrtzentrums.“((Bilstein 1980, S. 399.))

Der Erfolg lieferte die Bestätigung: Insgesamt 32 Starts, darunter neun Mondmissionen, die erste bemannte Mondumrundung und die Landung des ersten Menschen auf dem Mond.

In den Annalen der NASA heißt es, dass sich „selbst nach Abschluss des Saturn-V-Programms noch viele Firmen und Geschäftsleute an das Marshall-Raumfahrtzentrum mit der Frage wendeten: ,Wie habt Ihr das gemacht?‘“ Welche Hochachtung man in USA den Leistungen der Raketenwissenschaftler und -ingenieure entgegenbrachte, zeigt sich an der Redensart, wenn es um die Lösung einfacher Probleme geht: „Man muss kein Raketenwissenschaftler sein, um…“

Der nächste Schritt: zum Mars

Gut zwanzig Jahre vor dem Apollo-Programm, als Wernher von Braun noch in der Wüste von Neu-Mexiko alte V-2s abfeuerte, nahm er sich die Zeit, einen fiktiven Bericht über eine bemannte Marsmission zu schreiben. Im Anhang führte er alle technischen Einzelheiten auf, wie eine solche Mission ablaufen könnte. Gleichzeitig äusserte er auch seine Bedenken und Kritik an den Entwicklungen, denen er in seiner neuen Heimat Amerika nach dem Kriege begegnete.

Schon im Alter von 18 Jahren hatte er eine Kurzgeschichte mit dem Titel Lunetta geschrieben, worin eine Gruppe von Forschern am Nordpol strandete und von der Besatzung eines Raketenflugzeugs geborgen wurde. Die Verunglückten wurden zu einer Raumstation namens Lunetta gebracht, die teilweise rotiert, um mit der so erzeugten Schwerkraft der Mannschaft ein Gefühl wie auf der Erde zu vermitteln. Mit einem Observatorium wird die Erdoberfläche beobachtet, während und ein weiteres Teleskop auf den Sternenhimmel gerichtet ist. Nach einer ausführlichen Besichtigung der Station besteigen die Polarforscher ein Raketenflugzeug, das sie zurück nach Berlin bringt. Die Anregung zu dieser Geschichte stammte zweifellos von Hermann Oberths Buch Wege zur Raumschiffahrt, wo von Brauns geistiger Ziehvater inmitten komplizierter technischer Darstellungen über einen Raketenflug um den Mond erzählt.

1960 stellte von Braun in Erste Fahrt zum Mond ausführlich den Ablauf einer Mondreise dar. Er widmete es seinen Töchtern „Iris und Margrit, die in einer Welt leben werden, in der Flüge zum Mond alltäglich sind“. Die Geschichte beschreibt die Abenteuer einer Mannschaft, die ruhig und überlegt mit zahlreichen Pannen ihrer technischen Geräte und Ausrüstungen fertig werden muss. Er schildert, wie eng die Astronauten mit der Bodenstation zusammenarbeiten, um die Fehlerquellen zu finden und zu beheben, wie es später auch bei den Apollo-Missionen praktiziert wurde.

In dem Buch geben von Brauns Weltraumfahrer eine detaillierte Beschreibung der Mondoberfläche, die mit einem Tonbandgerät aufgezeichnet wird. „Nach ihrer Rückkehr zur Erde würden diese Bänder von Gelehrten vieler Fachgebiete intensiv nach Antworten auf Fragen durchforscht werden, die der Mensch gestellt hat, seit er zum ersten Mal seine Augen zum Himmel erhoben hatte“.((Von Braun 1960a, S. 62.)) Die Astronauten sammeln Staub- und Gesteinsproben, welche Forscher auf der Erde analysieren werden, und lösen mit Sprengkörpern Mondbeben aus, um den tektonischen Aufbau unseres Nachbargestirns zu analysieren.

Kurz bevor die Mondlandefähre ihre Triebwerke für den Rückflug zur Erde starten will, beschädigt einer der Forscher versehentlich die Luftschleuse, die für den Heimflug unbedingt dicht sein muss. „Millionen von 384.000 Kilometer entfernten Hörern atmen in diesem Augenblick auf, schreibt von Braun, als der Schaden schließlich behoben ist und das Raumschiff abheben kann.((Von Braun 1960a, S. 83.)) Obwohl auf dem Rückflug ein kleiner Meteorit ein Leck in die Kabine reißt und bei der Landung ein Unwetter am Pazifischen Ozean herrscht, werden sie schließlich „von einer lärmenden, jubelnden Menschenmenge umringt.((Von Braun 1960a, S. 97.))

Abbildung 9.1: Hohmanns Raketenbahn zum Mars. 1925 berechnete Walter Hohmann die Bahn, auf der ein Raumschiff von der Erde aus mit dem geringsten Energieverbrauch den Mars erreichen kann. Der beste Zeitpunkt zum Start vom Erdorbit (1) ist, wenn der Mars in seiner Bahn 44 Grad vor der Erde liegt (2). Wenn das Raumschiff nach 250 Tagen sein Ziel erreicht, hat der Mars die Position (3). Bei (4) verlässt das Raumschiff den Mars wieder und umrundet auf dem Heimflug erneut mehr als zwei Drittel eines Erdorbits. Quelle: Marsha Freeman, „Colonizing Mars: Moving Man Into The Cosmos“, Fusion, November 1985
Abbildung 9.1: Hohmanns Raketenbahn zum Mars. 1925 berechnete Walter Hohmann die Bahn, auf der ein Raumschiff von der Erde aus mit dem geringsten Energieverbrauch den Mars erreichen kann. Der beste Zeitpunkt zum Start vom Erdorbit (1) ist, wenn der Mars in seiner Bahn 44 Grad vor der Erde liegt (2). Wenn das Raumschiff nach 250 Tagen sein Ziel erreicht, hat der Mars die Position (3). Bei (4) verlässt das Raumschiff den Mars wieder und umrundet auf dem Heimflug erneut mehr als zwei Drittel eines Erdorbits. Quelle: Marsha Freeman, „Colonizing Mars: Moving Man Into The Cosmos“, Fusion, November 1985

Die Reise zum Mars, das wusste von Braun, war eine um ein Mehrfaches schwierigere Aufgabe und verlangte ungleich größere Mittel und Präzision als der vergleichsweise einfache Flug zum Mond.

Der Mond ist rund 400.000 Kilometer von der Erde entfernt, das entspricht einer zweitägigen Reise. Die Entfernung zum Mars beträgt mindestens 56 Millionen Kilometer. In diese günstige Nähe zueinander rücken die beiden Planeten jedoch nur alle zwei Jahre, denn eine Sonnenumkreisung dauert beim Mars ungefähr zwei Erdjahre. Weil der Mars dabei eine stärker elliptische Bahn als die Erde zieht, kann der Abstand zwischen Erde und Mars bis auf 400 Millionen Kilometer anwachsen.

Wie Abbildung 9.1 veranschaulicht, würde ein Reisender zum Mars einer schon von Kepler berechneten elliptischen Bahn folgen und dabei nicht nur 56, sondern fast 1200 Millionen Kilometer zurücklegen, und benötigte dazu nach Verlassen des Erdkreises etwa 260 Tage. Aufgrund der besonderen Eigenschaften dieser Flugbahn, wie sie Dr. Walter Hohmann bereits 1925 genauestens errechnet hatte, wären die vorhandenen chemischen Antriebstechniken ausreichend.

In seiner Einführung zur Studie Das Marsprojekt hatte von Braun 1952 geschrieben, die Entwicklung „atomischer Raketenantriebe“ könnte die Aufgabe deutlich vereinfachen. „Die Möglichkeit einer zukünftigen Ausnutzung der Kernenergie für den Antrieb von Raumschiffen will ich nicht bestreiten“, schrieb er. „Das Wort ,unmöglich‘ ist in der Technik mit Vorsicht zu gebrauchen. Atomenergie allein ist aber noch kein Rückstoßantrieb. Alle Spekulationen um atomische Kraftquellen für die Weltraumfahrt stehen noch auf schwankendem Boden.“((Von Braun 1952a, S. 8.))

Eine Marsrakete werde sicher nicht nach Science-fiction-Stil von einem „einsamen Erfinder“ im Keller zusammengebastelt werden können, sondern müsse bis ins Detail geplant werden.

„Schon Kolumbus wählte drei Schiffe, als er zu seiner Reise gen Westen aufbrach. Und die Geschichte seiner denkwürdigen Fahrt hat gezeigt, dass er nie nach Spanien zurückgekehrt wäre, um über seine Entdeckungen zu berichten, wenn er nur eines gehabt hätte. Die Erkundungsreise zu einem Planeten erfordert eine großzügig geplante Expedition.“((Von Braun 1952a, S. 7 f.))

Alle zehn Raumschiffe, die zur Marserkundungsflotte gehörten, sollten in einer Erdumlaufbahn zusammengebaut werden. Mit seinem Vorschlag, dass „drei der zehn Schiffe je ein ,Landungsboot‘ mitführen,… um die Landung auf dem Mars zu ermöglichen“, griff von Braun eine Idee von Krafft Ehricke auf, der im Armeelazarett von Fort Bliss, wo die Deutschen 1948 untergebracht wurden, sein Nachbar gewesen war.((Von Braun 1952a, S. 8.)) Auf diese Weise müsste man den Treibstoff für den Rückflug zur Erde nicht auf die Marsoberfläche mitnehmen, sondern könnte ihn im Marsorbit lagern.

Zu Beginn seiner Einführung zum Marsprojekt schreibt von Braun:

„Wir wissen heute, dass die Weltraumfahrt nur Wirklichkeit werden kann durch größte gemeinsame Anstrengungen von Wissenschaftlern, Technikern und Organisatoren aus fast sämtlichen Fachsparten. Astronomen, Ärzte, Aerodynamiker, Mathematiker, Physiker, Chemiker, Erprobungsflieger, aber auch Wirtschaftler, Industrielle und Staatsmänner werden mithelfen müssen – und die erdumspannende Familie der Raumfahrtgesellschaften hat es sich zu ihrer Aufgabe gemacht, Vertreter aus allen diesen Berufszweigen um unsere Sache zu scharen.“((Von Braun 1952a, S. 7.))

In einem Brief an seinen deutschen Kollegen Hermann Koelle vom Juni 1950 erörtert von Braun die Möglichkeit, das Buch in Deutschland herauszubringen und legt dabei seine Absichten dar:

„Die Sache steht folgendermaßen: Das Ganze ist ein Zukunftsroman, aufgebaut auf streng technischen Tatsachen. Ich habe bewusst davon abgesehen, irgendwelche fantastischen Annahmen, die heute noch nicht als gesichert gelten können (wie zum Beispiel Atom-Treibstoffe), zugrundezulegen. Ich habe vielmehr die jetzt vorhandene und bekannte Technik sozusagen in die Zukunft projiziert und untersucht, was man damit erreichen kann. Das Ergebnis ist eine Expedition zum Mars und zurück mit 70 Personen, ausgerüstet mit allem, was der Tischler braucht, einschließlich Bodenfahrzeugen, um auf dem Mars herumzugondeln… Alles mit chemischen Treibstoffen – nicht einmal flüssiger Wasserstoff, von dem ich nicht soviel halte, wie manch andere Autoren.“

Von Braun hatte das Manuskript an 18 Verlage geschickt. Über den Stand der Verhandlungen berichtet er in dem gleichen Schreiben an Koelle:

„Herausgekommen ist das Buch noch nicht. Ich stehe gegenwärtig in Verhandlung mit der American Rocket Society und auch einigen Verlegern. Letztere wollen aber einiges geändert haben, worüber ich nicht begeistert bin. Im wesentlichen wollen sie, dass ich viele wissenschaftliche und technische Einzelheiten fallenlasse und mehr die ,Story‘ ausbaue, die zugegebenermaßen nur als loser Kitt das Ganze zusammenhält… Raumfahrtfreunde sagen mir, ich solle mich auf keine Änderungen dieser Art einlassen. Mir selbst ist natürlich an einer Veröffentlichung der technischen Punkte mehr gelegen als an einem Verkaufsschlager‘, der auf die Bedürfnisse des U-Bahn-Publikums in New York zu sehr Rücksicht nimmt.“

Sechs Monate später berichtet er:

„Zunächst hatte ich einige Monate lang Schriftwechsel mit einigen interessierten Verlagen. Dabei stieß ich immer wieder auf die Schwierigkeit, dass die Verleger den wissenschaftlichen Wert des Buches gern zugunsten von mehr Spannung in der Erzählung verwässern wollten. ,Wer interessiert sich für die Marsatmosphäre oder den Anfangsschub eines Satellitenschiffes? Zu der Story fehlt ein Mädchen!‘ usw. Auf diesen Tenor gingen die meisten Anregungen: ,Make it hot!‘ Ich habe mich auf diese Vorschläge nicht eingelassen, da das ja nicht das Ziel war, das ich im Auge hatte. – Zwei Verleger (große Häuser!) wollten, dass ich die Story ganz herausnehme und stattdessen das technische Material im Stile von ,leicht verständlicher, technischer Darstellung des Raumfahrtproblems für Laien‘ präsentiere. Dazu war ich erstens nach all der hineingesteckten Arbeit zu faul, und zweitens hätte man dann den organisatorischen Umfang der Aufgabe nicht so plastisch darstellen können.“

Die Amerikanische Raketengesellschaft beschloss zwar, Das Marsprojekt zu veröffentlichen, musste dafür aber erst einige zehntausend US-Dollar als Druckkostenvorschuss sammeln, berichtet von Braun. Offenbar gelang das nicht, denn das gesamte Buch wurde bis heute nicht veröffentlicht.

Als der Verleger Otto Bechtle von Braun 1950 in Huntsville besuchte, einigte man sich darauf, wenigstens den technischen Anhang des Marsprojekts als „mathematischen Beweis für die Durchführbarkeit des vorgeschlagenen interplanetaren Flugs“ zu veröffentlichen.((Ordway und Sharpe 1979, S. 361.)) Diese Schrift erschien 1952, und im folgenden Jahr veröffentlichte die Universität Illinois eine englische Übersetzung. Auszüge aus dem Roman erschienen 1960 als Serie in der Zeitschrift This Week Magazine. Sie geben einen guten Eindruck über von Brauns Ideenreichtum und seine kritischen Überlegungen.

In der Einleitung zu der Artikelserie bemerkt von Braun:

„Bitte missverstehen Sie meine Geschichte nicht. Es handelt sich nur um eine Erfindung und nicht um die Vorhersage, dass wir wirklich solche Menschen und technischen Wunderdinge antreffen, wenn wir zum Mars gelangen. Hier drückt sich die Freizeitbeschäftigung eines Wissenschaftlers aus, der sich von der harten Arbeit, die Werkzeuge zur Erforschung des Weltalls zu bauen, entspannen will. Es soll mich und andere auch daran erinnern, dass wir unseren Geist beim immer weiteren Vordringen in das Universum stets für neue Welten und neue Wunder offenhalten.“((Von Braun 1960b, S. 8.))

Das Marsprojekt

Die Reise zum Mars beginnt von der Raumstation Lunetta. Nach 260tägigem Flug steigt eine zwölfköpfige Besatzung vom Mutterschiff namens „Oberth“, welches auf einer Umlaufbahn um den Mars bleibt, in den Gleiter „Goddard“ um und landet damit auf der Marsoberfläche. Bei ihren Erkundungen stoßen die Forscher auf eine Zivilisation intelligenter Wesen, die unter der Marsoberfläche leben.

Die Erdbewohner werden in eine riesige unterirdische Stadt, Ahla, geführt. Sie ist die Hauptstadt der Marsbewohner und besteht aus 15 übereinander liegenden Geschossen. Am nächsten zur Oberfläche gibt es einen Park, der natürliches Sonnenlicht einfängt. Darunter finden sich die Wohnbezirke, Verkehrsebenen, Kraftwerke und andere Versorgungseinrichtungen. Die Marsianer sind eine technisch entwickelte Zivilisation, die die 800 Millionen Bewohner mit allen materiellen Annehmlichkeiten versorgt. Es fehlt ihnen nur eines: Unternehmungsgeist. Die Massenproduktion, aus der die Bevölkerung versorgt wird, hat zur Uniformität geführt. Sie hat „seelenzerstörende Gleichmacherei und Konformismus in allen Lebensbereichen ausgelöst und bietet den jungen Marsianern wenig Anreiz, sich von der Allgemeinheit abzuheben und über sich hinaus zu wachsen“.((Von Braun 1960c, S. 31.))

Am Ende des Aufenthalts der Erdmenschen hält der Vorsitzende der Marsianischen Akademie der Wissenschaften eine Abschiedsrede:

„Eure Reise ist eine wirklich große technische Leistung, die bei vielen Millionen Marsianern einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat… Lassen Sie sich den warnenden Rat eines alten Mannes mit auf den Weg geben. Die Geschichte dieses Planeten lehrt, Götzendienst an unseren technischen Errungenschaften ist das größte Übel, durch das wir unsere Gattung und Zivilisation gefährden. Die Anbetung unserer eigenen Errungenschaften macht steril und unfähig, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Wenn wir unsere wissenschaftlichen Leistungen vergöttern, töten wir unsere Demut ab. Aber nur in Demut kann wissenschaftlicher und sonstiger Fortschritt entstehen.“((Von Braun 1960c, S. 23 f.))

Der Marsianer spricht aber auch von dem Nutzen, den der Besuch der Erdbewohner dem Planeten gebracht hat:

„Ich habe die Ehre zu berichten, dass wir, von eurem Besuch angeregt, erste Schritte ins All unternommen haben. Das Licht, das Sie dort oben sehen, ist ein künstlicher Satellit, der erst an diesem Nachmittag gestartet wurde. Ich kann euch Erdenleuten versprechen, dass auf euch, wenn ihr zum Mars zurückkehrt, eine Raumstation im Orbit wartet, um euch zu empfangen.“((Ebenda.))

Bei diesem Inhalt ist es gar nicht so verwunderlich, dass niemand die Erzählung abdrucken wollte. Die Science-Fiction-Literatur der vierziger Jahren führte den Amerikanern keine kultivierten außerirdischen, sondern banale, sittenlose, kriegerische, ja sogar kannibalistische Zivilisationen vor.

Auch wenn er sein Manuskript für Das Marsprojekt zur Seite legen musste, verlor Wernher von Braun seine Überzeugung nicht, dass die Menschheit eines Tages zum Mars vordringen werde. 1954 schrieb er in dem letzten Artikel einer Serie für die Zeitschrift Collier‘s mit der Überschrift „Können wir zum Mars gelangen?“: „Es wird wohl noch ein Jahrhundert oder länger dauern, bis die Menschheit bereit ist“, zum Mars zu fahren, aber, fügte er hinzu, er sei sich sicher, dass es geschehen wird.((Von Braun 1954b, S. 23.))

1956 schrieben von Braun und Willy Ley zusammen das Buch Die Erforschung des Mars (deutsche Ausgabe 1957), illustriert von Chesley Bonestell. Hierin hat von Braun seine Marsmission „im großen Stil“ auf ein etwas realistischeres Niveau zurückgeschraubt, um die tatsächlichen Erfordernisse eines Marsfluges darzustellen. „Die Expedition nach dem Mars sollte daher als die Krönung einer schrittweisen und oft schmerzlich langsamen Entwicklung des bemannten Weltraumflugs betrachtet werden, die viele Jahre beanspruchen dürfte“, schrieb er.((Ley und von Braun 1957c, S. 79.))

„Sichere Aussagen über die voraussichtliche technische Entwicklung kommender Jahrzehnte werden durch den schnellen Fortschritt der Naturwissenschaften und die Möglichkeit erschwert, dass völlig neue Verfahren entstehen. Es ist zum Beispiel ohne weiteres möglich, dass innerhalb eines Jahrzehnts oder sogar früher Versuche mit einem Raketenantriebssystem auf der Grundlage der Kernenergie Erfolg haben.“((Ley und von Braun 1957c, S. 79 f.))

Die Verfasser blieben der schon beim Marsprojekt bewährten Methode treu. Sie entwerfen die Mission auf der Grundlage der besten, heute schon verfügbaren Techniken, denn „was heute technisch möglich erscheint, wird sich in Zukunft bestimmt verwirklichen lassen.“ Es sei wahrscheinlich, fahren sie fort, dass „man auch das fundamentale Konzept einer Unterteilung der Expedition in Vorbereitungsflüge von und zur Abflugbahn um die Erde, den eigentlichen interplanetaren Flug und die Landungsoperation am Ziel, jede Teiloperation mit eigens dafür entwickelten Fahrzeugen, höchstwahrscheinlich beibehalten wird“. Dieses Konzept, das auf mehrere, für den jeweiligen Zweck am besten ausgestattete Raumfahrzeuge zurückgreift, hat sich bewährt. Es lag auch dem Konzept zugrunde, das die US-Raumfahrtkommission 1985 für ihre Marsmission vorschlug.

Die Studie ist praktisch eine Überarbeitung von Das Marsprojekt. Die Mission kommt mit nur noch 10 Prozent der Antriebsleistung aus, die im ursprünglichen Plan vorgesehen war. Sie benötigt im Unterschied zu dem Plan von 1950 nur noch die Hälfte der Transportflüge für Versorgungsgüter von der Erde in die Startumlaufbahn. Und: „Um die Kosten für das Unternehmen niedrig zu halten, soll die Expedition auf 12 Teilnehmer beschränkt werden.“((Ley und von Braun 1957c, S. 90.)) Von diesen sollen neun auf dem Mars landen und 440 Tage lang den roten Planeten erkunden. Unbemannte Einweg-Frachter würden die Forscher versorgen.

Um Treibstoff zu sparen, entwarfen von Braun und Ley eine ungewöhnliche Art des Rückflugs. Statt abzubremsen und die Raumstation auf ihrer 17.000 Kilometer hohen Erdumlaufbahn anzusteuern, soll das Marsschiff „in eine Kreisbahn um die Erde mit einem Radius von 90.000 Kilometern“ einschwenken. Mit einem Entsatzraumschiff wird die Besatzung zur Raumstation gebracht, von wo aus sie dann zur Erde zurückkehren wird (Abbildung 9.2).((Ley und von Braun 1959, S. 250.))

Abbildung 9.2: Die Flugbahn des Entsatzschiffes. Ein besonderes Entsatzschiff bringt die Mitglieder der Expedition von ihrem Schiff zur Weltraumstation. Das Marsschiff bleibt auf der 90.000-km-Bahn zurück.
Abbildung 9.2: Die Flugbahn des Entsatzschiffes. Ein besonderes Entsatzschiff bringt die Mitglieder der Expedition von ihrem Schiff zur Weltraumstation. Das Marsschiff bleibt auf der 90.000-Kilometer-Bahn zurück.

Die Pläne der Marsexpedition erhielten durch die Ankündigung des Apollo-Programms zunächst starken Auftrieb. Niemand konnte mehr bestreiten, dass die für den bemannten Weltraumflug erforderlichen Techniken entwickelt werden könnten. Im Juni 1963 veranstaltete die Amerikanische Raumfahrtgesellschaft in Denver, Colorado, ein Symposium über die Erkundung des Mars. Mehr als 800 Wissenschaftler und Ingenieure nahmen daran teil, und es wurde über die verschiedensten Aspekte einer bemannten Mars-Mission, vom Raumfahrzeug bis zur Weltraummedizin, referiert.

In seiner Einführungsrede würdigte George William Morgenthaler von Brauns Marsprojekt als bahnbrechende Arbeit.((Morgenthaler 1963, S. VI.)) Heute seien, sagte Morgenthaler, Studien über Marsmissionen nichts Phantastisches mehr. „Viele der für die Marsreise benötigen Techniken werden für vorher geplante Projekte der bemannten Raumfahrt entwickelt werden.“ Darunter zählte er zum Beispiel die Saturn-V-Rakete und laufende Studien über die physiologischen Auswirkungen des Raumflugs auf den Menschen.

Auch von Brauns Kollegen Harry Ruppe und Ernst Steinhoff legten technische Studien vor. Krafft Ehricke blieb der NASA durch Industrieverträge verbunden und arbeitete weiter an der Mars-Mission.

Als Wernher von Braun seinen 50. Geburtstag feierte, ehrten ihn seine Freunde und Kollegen mit einer Festschrift. Ernst Steinhoff hatte dafür seinen Symposium-Beitrag überarbeitet und erweitert. Er entwickelte darin Vorstellungen, wie sich mögliche Erkunder des roten Planeten aus dessen Rohstoffen und Mineralien selbst versorgen können.

1965 kam es zu einer Wende im Weltraumprogramm. Die Arbeiten an der Saturn V im Marshall-Raumflugzentrum näherten sich ihrem Ende. Das NASA-Budget hatte den Höchststand überschritten und wurde zurückgefahren. Von Braun befürchtete zu Recht, dass das Apollo-Programm seinen Schwung verlieren könnte. Mit dem Argument: „Es ist doch interessant anzumerken, dass sich die Kosten für das sehr ehrgeizig aussehende Marsprogramm etwa im gleichen Rahmen bewegen wie die des Apollo-Programms“, warb er um Unterstützung für den nächsten großen Sprung ins All.((Von Braun 1965, S. 34.))

Mitte der sechziger Jahre musste Wernher von Braun jedoch feststellen, dass sich die kulturelle Orientierung der amerikanischen Bevölkerung änderte. Das zeigte sich auch daran, dass seit 1965 der NASA-Haushalt stetig sank, wie es von Braun dem Senat bei einer Anhörung im April 1968 vorwarf. In der Zeitung las sich das so:

„Gestern warnte Dr. von Braun davor, dass Amerika, wenn es die Raumfahrt zugunsten von Sozialprogrammen wie dem ,Krieg gegen die Armut‘ ausblute, sich bald wie Großbritannien unter die technologischen Habenichtse einreihen werde. Von Braun zeigte, dass die Briten in den fünfziger Jahren ihre Wohlfahrtsprogramme ausgebaut, dabei aber die aufkeimende Luftfahrtindustrie übersehen hätten. Jetzt fehle ihnen das Geld für ihre Sozialprogramme.“

Von Braun verteidigte auch das Nuklearraketenprogramm, dessen Haushalt das Abgeordnetenhaus von 60 auf 12 Millionen US-Dollar zusammengestrichen hatte. Bis 1976, behauptete er, könnte das neue System flugbereit sein. Er wusste genau, dass eine bemannte Mars-Mission unwahrscheinlich wäre, wenn das Nuklearraketenprogramm abgesetzt würde.

Vom Raumfahrtprogramm zweigte die Johnson-Regierung nicht nur Geld für das Propagandaprogramm „Krieg gegen die Armut“ ab, sie ließ sich außerdem in einen Bevölkerungskrieg in Südostasien verwickeln. Vor der amerikanischen Gesellschaft für öffentliche Verwaltung berichtete von Braun am 20. März 1968:

„Die Programme der NASA stecken wie die Programme vieler anderer Behörden in einer Zwickmühle. Einmal besteht Sparzwang, um inflationären Druck von der Wirtschaft zu nehmen, zum anderen stellen der Vietnamkonflikt und andere dringliche nationale Aufgaben wachsende Anforderungen. Der gegenwärtige Haushaltsansatz für Raumfahrt entspricht nicht dem, was die Nation für ihr Raumfahrtprogramm benötigt.“

Die Mercury-Kapsel im Aufschnitt. Eine Mercury-Kapsel auf einer Redstone brachte zwei Jahre später Alan Shepard in eine Erdumlaufbahn.
Die Mercury-Kapsel im Aufschnitt. Eine Mercury-Kapsel auf einer Redstone brachte zwei Jahre später Alan Shepard in eine Erdumlaufbahn.

Von Braun wusste, dass es bei den Angriffen auf die Raumfahrt um grundsätzliche Fragen ging. 1964 trat Robert Maynard Hutchins von der Chikagoer Universität mit seiner Theorie von der „Triple Revolution“ auf. Die Menschheit wandele sich zur „nachindustriellen Gesellschaft“, behauptete er. In dieser neuen Ordnung würden sich die wirtschaftlichen Anstrengungen nicht auf die Anhebung der Produktivität der Arbeit und Industrie richten, sondern auf die „gerechtere Verteilung der abnehmenden Ressourcen“.

Der Ruf nach dem Ende wirtschaftlichen Wachstums entsprach der wachsenden Desillusionierung junger Leute über die Ziele des Vietnamkriegs. Daraus erwuchs die ökologische „Zurück zur Natur“-Bewegung und damit eng verbunden die Rock, Sex und Rauschgift verherrlichende Gegenkultur. Sie entdeckte in Forschung und Technologie den „Feind“ ihrer „ökologischen Utopie“.

Grafik einer für 1982 anvisierten Marslandung. Von Braun benutzte sie 1969, um der von US-Vizepräsident Spiro Agnew eingsetzten Arbeitsgruppe ein langfristiges Raumfahrtprogramm nach Abschluss von Apollo zu erläutern. Die Astronauten brechen Marsgestein, um es auf die Erde zurückzubringen. Am Himmel sieht man das Mutterschiff für den Rückflug zur Erde, das selbst nicht auf dem Mars landet. Bild: NASA
Grafik einer für 1982 anvisierten Marslandung. Von Braun benutzte sie 1969, um der von US-Vizepräsident Spiro Agnew eingsetzten Arbeitsgruppe ein langfristiges Raumfahrtprogramm nach Abschluss von Apollo zu erläutern. Die Astronauten brechen Marsgestein, um es auf die Erde zurückzubringen. Am Himmel sieht man das Mutterschiff für den Rückflug zur Erde, das selbst nicht auf dem Mars landet. Bild: NASA

Die üblen Angriffe auf Wissenschaft, Technik und Raumfahrt erreichten mit der Veröffentlichung der Schrift Wir sind nie auf dem Mond gewesen – der Dreißig-Milliarden-Betrug 1976 einen Höhepunkt. Das Buch bestreitet nicht nur, dass es künftig noch technische Errungenschaften geben solle, sondern leugnet sie auch für die Vergangenheit.((Kaysing und Reid, 1976.))

Im Herbst 1968 sah NASA-Chef James Webb, der unermüdlich für die Umsetzung der Apollo-Zusage des mittlerweile ermordeten Präsidenten Kennedy kämpfte, die Zeichen an der Wand und trat von seinem Amt zurück, und der nach wie vor optimistische Thomas („Tom“) Paine übernahm die NASA-Leitung. Als dann am 20. Juli 1969 der erste Mensch auf dem Mond landete, musste das Raumfahrtprogramm selbst bereits ums Überleben kämpfen.

Monate vor der Mondlandung berief Präsident Richard Nixon eine Arbeitsgruppe Raumfahrt unter Vizepräsident Spiro Agnew ein. Sie sollte die Raumfahrtpolitik für die Zeit nach dem Apolloprogramm vorbereiten. Im September legte sie dem Präsidenten ihre Vorschläge vor. Darin heißt es: „Eine bemannte Marsmission sollte das nächste weitgesteckte Ziel“ sein und der Haushaltsansatz für die NASA sollte auf 6 Milliarden US-Dollar angehoben werden.

Die NASA hatte der Arbeitsgruppe ein integriertes Raumfahrtprogramm für die Zeit von 1970 bis 1990 vorgelegt. In den siebziger Jahren müsse der Bau einer Raumstation mit zwölfköpfiger Besatzung und einer wiederverwendbaren Fähre zwischen Erde und Station im Vordergrund stehen. In den achtziger Jahren sollten die USA dann eine kleine Station auf dem Mond errichten, einen ersten Marsbesuch durchführen und die Mondstation zur Kolonie ausbauen. Schließlich war eine teilweise besetzte, ständige Marsstation vorgesehen.

Aber die wissenschaftspolitischen Entscheidungen der Regierung wurden von anderen Überlegungen bestimmt. Als George Shultz das Haushaltsamt leitete, kürzte er 1970, noch ehe die Arbeitsgruppe ihren Bericht vorlegen konnte, den Budgetansatz für die NASA um 45 Millionen US-Dollar. Zwischen 1965 und 1971 schrumpfte der Haushalt der NASA um 40 Prozent. Trotzdem stand NASA-Chef Paine noch voll hinter dem Gesamtprogramm. Er wusste, dass nur ein Mann den Kongress und die Nation vom Marsprogramm überzeugen konnte – Wernher von Braun.

Dr. Thomas Paine erklärte auf einer Pressekonferenz am 29. Juli 1970 seinen Rücktritt als Chef der NASA. Er hoffte, ein von der Republikanischen Regierung ernannter Nachfolger würde im Weißen Haus offenere Ohren finden, um von Brauns Marsprogramm weiterverfolgen zu können. Bild: NASA
Dr. Thomas Paine erklärte auf einer Pressekonferenz am 29. Juli 1970 seinen Rücktritt als Chef der NASA. Er hoffte, ein von der Republikanischen Regierung ernannter Nachfolger würde im Weißen Haus offenere Ohren finden, um von Brauns Marsprogramm weiterverfolgen zu können. Bild: NASA

Paine teilte mit seinem Vorgänger die Wertschätzung für von Braun:

„Nach fast zwanzig Jahren erinnerte sich Webb daran, dass Wernher von Braun unter seiner Geschäftsleitung wesentlich prominenter war als der NASA-Direktor: ,Sie dürfen nicht vergessen, dass man von Braun Mr. Raumfahrt nannte… Er war überzeugt, dass die Großrakete nur der nächste Schritt zur Reise zum Mars war… Außerdem war ihm wohl bewusst, dass er ein Redner mit großer Wirkung war, der seine Zuhörer zu fesseln vermochte… Er war in der Öffentlichkeit sehr bekannt, während Leute wie ich nicht bekannt waren.‘“((Stuhlinger und Ordway 1992, S. 374.))

Anfang 1970 verließ Wernher von Braun Huntsville, wo er seit zwanzig Jahren wohnte, um Tom Paine zu Hilfe zu kommen. Am 1. März trat er seinen neuen Posten als stellvertretender Planungschef der NASA an.

In einem Interview erinnerte sich Paine 1985 an einige Einzelheiten aus jener Zeit:

„[S]oweit ich mich erinnere, war von Brauns Umzug meine Idee. Als ich sie aufs Tapet brachte, war er unentschlossen… Seine erste Reaktion war: ,Darüber sollte man sicher nachdenken.‘ Aber ich hatte eine phantastische Verbündete: Maria. Sie wollte nach Washington. Sie war lange genug im Süden gewesen… Ich glaube, Maria – sie dachte auch an die Kinder – war der Meinung, der Umzug nach Washington würde im Interesse der Familie sein.“((Stuhlinger und Ordway 1992, S. 421 f.))

Einige Kollegen glaubten, Dr. Paine habe von Braun nur nach Washington ins NASA-Hauptquartier geholt, um den deutschen Einfluss im Marshall-Raumfahrtzentrum zu beschneiden. Dr. Häussermann, von Brauns langjähriger Kollege, meint jedoch dazu:

„War das eine Intrige, um von Braun von Huntsville wegzubekommen? Ich kannte Dr. Paine zu gut… Er war der ehrlichen Meinung, dem Land zu dienen, wenn er von Braun nach Washington holte. Er war ein feiner, idealistischer Mensch, von unglaublicher persönlicher Bescheidenheit. Einmal hatte ich in Cape Canaveral dienstfrei und konnte eine jener Busrundfahrten machen. Ich stieg also ein und plötzlich sah ich auch Dr. Paine im selben Bus. Er saß in der Ecke und nahm wie ich an der Rundfahrt teil. Ich wandte mich also an den Busfahrer und sagte: ,Machen Sie bitte eine Durchsage, sagen Sie, dass Dr. Paine hier im Bus mitfährt.‘ Das tat er und wir hatten viel Spaß miteinander.“

Von Brauns Einflussmöglichkeiten in Washington waren beschränkt. Das Raumfahrtprogramm und die Raumfahrtindustrie, die davon abhing, befand sich auf der ganzen Linie auf dem Rückzug. Seit der Mondlandung hatten schon Tausende von Wissenschaftlern, Ingenieuren und Facharbeitern ihre Arbeit verloren. Das vergrößerte die Wissenschaftsfeindlichkeit im Lande noch weiter und damit die Schwierigkeiten für das Raumfahrtprogramm.

Am 28. Juli 1970, fünf Monate nach von Brauns Umzug ins Hauptquartier der NASA, nahm Paine seinen Abschied, um sich ins Privatleben zurückzuziehen. Warum?

„Ich war Demokrat, ernannt von einem demokratischen Präsidenten“, erklärte Paine 1985 in einem Interview. „Ich glaube, Nixon behielt mich nur im Amt, weil kein Republikaner den Job ein paar Monate vor der geplanten Landung eines Menschen auf dem Mond wollte… Als während der Mondlandungen alles gut verlief, war ich der Meinung, Präsident Nixon sollte eigentlich einen eigenen Mann einsetzen. Denn wenn wir einen Leiter der NASA hätten, dem sich der Präsident verbunden fühlte, würde das die Aussichten für Wernhers Visionen verbessern… Da ich aber keine optimale Zusammenarbeit erreichen konnte, wäre es der NASA gegenüber einfach nicht fair gewesen, wenn ich geblieben wäre.“((Stuhlinger und Ordway, S. 434.))

Von Braun versuchte, diejenigen im Kongress in Schach zu halten, die die bemannte Raumfahrt insgesamt beenden wollten. Aber das Gerangel zwischen Weißem Haus und Haushaltsamt ging weiter. Schließlich kündigte Präsident Nixon am 5. Januar 1971 an, die USA wollten eine Raumfähre bauen. Das war jedoch alles, was von der bemannten Raumfahrt und dem ehrgeizigen Programm der Arbeitsgruppe, die schon 1983 einen Menschen auf dem Mars landen lassen wollte, übrig geblieben war.

Als von Braun einsah, dass er für die Raumfahrt kaum noch etwas tun konnte, reichte er am 26. Mai 1972 seinen Abschied von der NASA ein und wechselte in die Privatindustrie. „Raumfahrt ohne von Braun?“, fragte die Washington Daily News und antwortete: „Unvorstellbar!“ Einige Stimmen warnten damals, dass mit von Braun auch das Raumfahrtprogramm für mindestens die nächsten zehn Jahre verschwinden würde.

Wernher von Braun verlor aber niemals die Zuversicht, dass das amerikanische Volk und seine Vertreter wieder in das Abenteuer der Weltraumerkundung einsteigen werden. Schon an Krebs erkrankt, dem er am 16. Juni 1977 erliegen sollte, gründete er am 15. Juli 1975 das Nationale Raumfahrtinstitut, das weitere Perspektiven für die Raumfahrt entwickeln sollte. In seiner Gründungsansprache sagte von Braun: „Es liegt in der Natur des Menschen, dass er immerfort entdecken, weiterentwickeln und fortschreiten will.“

Trotz schwerer Krankheit schrieb von Braun eine philosophische Abhandlung, die am 29. Oktober 1976 vor der Synode der Lutherischen Kirche von Amerika in Philadelphia verlesen wurde. Seine Vorstellung von Moral in der Wissenschaft unterstrich von Braun darin mit einem Platon-Zitat: „Einem Kind können wir leicht seine Angst vor der Dunkelheit verzeihen. Das eigentlich Tragische im Leben ist, wenn Erwachsene das Licht scheuen“.

Erschrocken über die Versuche, die Wissenschaft aus ethischen Gründen in eine Zwangsjacke zu schnüren, regte von Braun an, wissenschaftliche Anwendungen nur dann zu verbieten, wenn Gebiete möglichen Missbrauchs „von ansonsten vielversprechenden, nützlichen wissenschaftlichen Entdeckungen eindeutig festgelegt und abgetrennt werden können. Kein Richter würde ein Embryo zum Tode verurteilen wollen, weil in ihm Anlagen zum Verbrecher stecken.“

Große Abschnitte seiner Abhandlung befassen sich mit dem, was er „die drückendsten Probleme unserer Generation“ nannte: das Überleben der Menschen und die schweren wirtschaftlichen Probleme der Mehrheit der Weltbevölkerung. Nur die Wissenschaft könne für angemessene Lösungen sorgen, betonte er.

„Vielleicht hat die Tatsache, dass ich 20 Jahre meines Lebens in Huntsville zubrachte, etwas mit meinen Schlussfolgerungen zu tun. Als ich dort 1950 ankam, glaubten die meisten der Weißen in Huntsville, dass farbige Kinder für die Grundschule entweder nicht reif seien oder die Anhebung ihres allgemeinen Bildungsstandes nur für Ärger am Arbeitsplatz sorgten. Heute verfugt Huntsville mit über die besten integrierten Schulen der USA und wenige, wenn überhaupt irgendeines der angekündigten Probleme sind eingetreten.“

Den Verfechtern der Nullwachstumsideologie sagte von Braun sehr deutlich:

„Diese Ideen sollten als unausgegoren und von Grund auf gefährlich abgewiesen werden. Die wahllose Philosophie des Nullwachstums unterscheidet nicht zwischen Bevölkerungswachstum und Wachstum der Lebensvoraussetzungen. Wir müssen dieses vereinfachende Konzept zurückweisen.“

Im Hinblick auf die Frage nach dem Verhältnis des Wissenschaftlers zu Gott stellt von Braun die Frage:

„Welche seltsame Logik steckt dahinter, wenn einige Physiker das nicht wahrnehmbare Elektron als wirklich anerkennen, die Realität Gottes aber deshalb leugnen, weil sie ihn nicht wahrnehmen können? Man kann den Gesetzen und Abläufen des Universums nicht gegenübertreten, ohne einzusehen, dass ihnen eine göttliche Absicht zugrundeliegt. Ich spreche hier nur für mich selbst und muss bekennen, dass die Großartigkeit des Kosmos mich in der Gewissheit meines Glaubens an den Schöpfer nur bestärken konnte. Je besser wir die inneren Verwicklungen des Universums und seine Verstecke verstehen, desto mehr Grund haben wir, über Gottes Schöpfung zu staunen. Das Universum ist, wenn wissenschaftliche Forschung es entschlüsselt, der lebendige Beweis für das tatsächliche Wirken Gottes. Wenn man die Natur der Schöpfung versteht, findet man handfesten Grund für den Glauben, der uns die Natur des Schöpfers erschließen will.“