Von der Theorie zum Experiment

Ende des Jahres 1929 verlegte der Verein für Raumschiffahrt seine Tätigkeit von Breslau nach Berlin. Johannes Winkler, der Herausgeber der Rakete, beschäftigte sich vornehmlich mit Experimenten in der Industrie und gab bald seinen Posten als Präsident des VfR auf. An seine Stelle traten Hermann Oberth als Präsident und Willy Ley als Vizepräsident. Aus Geldmangel musste jedoch die Herausgabe der Zeitschrift eingestellt werden. Dafür warb der VfR verstärkt um finanzielle Unterstützung für seine Raketenexperimente.

Die Zeitschrift wurde durch ein hektographiertes Bulletin ersetzt, um mit der wachsenden Zahl von Mitglieder in Verbindung zu bleiben. Zur Stammannschaft gesellten sich zu Beginn des Jahres 1930 der Ingenieur Klaus Riedel und Rudolf Nebel, Oberths Assistent bei der Filmproduktion Frau im Mond.

In Berlin machte der VfR zum ersten Mal am 11. April 1930 mit einem Vortrag von Johannes Winkler im vollbesetzten Hörsaal des Hauptpostamtes von sich reden. Die Reichspost hatte schon früher Willy Leys Artikel in ihrer Mitarbeiterzeitschrift veröffentlicht. Der VfR hoffte daher, die Post könnte sich für Oberths Vorschlag interessieren und kleine Raketen zur Beförderung dringender Postsendungen entwickeln lassen. In einer Ecke des Hörsaales war die Oberth-Rakete aufgebaut und an der Decke des Saales pendelte ein anderes Raketenmodell mit Fallschirm.

Um ein größeres Publikum anzusprechen, veranstaltete der VfR im ErdGeschoss des Berliner Kaufhauses Wertheim eine „Luftfahrtwoche“. Eine Menge interessierter Leute drängte sich, um Raketenmodelle, Bremsfallschirme und Schaubilder über die Leistung der Raketen, Getriebe, Motoren und anderer Instrumente sowie Fotos und Bücher über Astronautik zu sehen. Ein anderer Teil der Ausstellung zeigte Instrumente der drahtlosen Telegraphie, mit deren Hilfe man Auskunft über die jeweilige Position der Rakete während des Fluges erhalten konnte. Ein Student namens Wernher von Braun half Hermann Oberth beim Einrichten der Ausstellung. Er betreute auch die Ausstellung und gab Führungen. Dabei erklärte er nicht nur die Exponate, sondern begeisterte das Publikum mit Schilderungen von der großen Zukunft der Raumfahrt und den künftigen Mondflügen.

Abbildung 3.1: Oberths Kegeldüse. Für den Film Die Frau im Mond entwickelte Oberth eine Raketenbrennkammer, die er „Kegeldüse“ nannte. Sie bestand aus zwei Stahlteilen, die fest miteinander verschweißt waren und einen Kupferüberzug hatten. Bild: Willy Ley, Rockets, Missiles and Space Travel, The Viking Press, 1957
Abbildung 3.1: Oberths Kegeldüse. Für den Film Die Frau im Mond entwickelte Oberth eine Raketenbrennkammer, die er „Kegeldüse“ nannte. Sie bestand aus zwei Stahlteilen, die fest miteinander verschweißt waren und einen Kupferüberzug hatten. Bild: Willy Ley, Rockets, Missiles and Space Travel, The Viking Press, 1957

Für den Film Frau im Mond hatte Oberth eine ideale Brennkammer für Raketen entwickelt, die er „Kegeldüse“ nannte. Die Kammer (Abbildung 3.1), in der Methan mit flüssigem Sauerstoff verbrannt werden sollte, bestand aus Stahl, der mit einer Kupferschicht überzogen war. Oberth wollte die Kegeldüse weiterentwickeln und beim Abschuss einer großen Rakete, wie er sie für den Film entwickelt hatte, testen. Damit sollte endgültig nachgewiesen werden, dass Flüssigraketen Feststoffraketen überlegen sind.

Andere Mitglieder des VfR widersetzten sich dem Vorhaben. Sie glaubten, wie Willy Ley erzählt, „es sei besser, eine kleine funktionierende Rakete zu haben, als eine große, bei der nichts klappt“.((Ley 1957a, S. 133.)) So entwarfen und bauten der Ingenieur Klaus Riedel und Rudolf Nebel eine Minimum-Rakete („Mirak“) für eine erste Versuchsreihe.

Das größte Problem blieb die Finanzierung der laufenden Entwicklungen. Ley erzählt, „die erfolglose Jagd nach Geld fand ein unerwartetes Ende“, als Dr. Franz Ritter von der Chemisch-Technischen Reichsanstalt zustimmte, einen Test zu beobachten und die Ergebnisse aufzuzeichnen. Man stürzte sich sofort in die Entwicklungsaufgabe. Oberth, Nebel und Riedel bereiteten den Test drei Wochen lang im Institut vor. Am 23. Juli 1930 war es soweit. Der Test verlief erfolgreich und bewies, dass der Raketenmotor mit Kegeldüse die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllte.

Ley erinnert sich: „Es war ein Wunder, dass es überhaupt funktionierte. Während des Tests regnete es in Strömen und es hatte bereits vierundzwanzig Stunden vorher stark geregnet. Ich war in meinem Leben nie so durchnäßt gewesen – nicht einmal beim Schwimmen.“((Ley 1943, S. 77.)) Und weiter: „Die Photographen ruinierten ihre Kameras im Regen, die Journalisten ihre Notizblöcke. Die Wissenschaftler – von einigen wenigen abgesehen – erkälteten sich.“((Ley 1937, S. 61.))

Obgleich Dr. Ritter keine finanzielle Hilfe bereitstellen konnte, bestätigte er offiziell, dass die Kegeldüse 90 Sekunden gebrannt und dabei 6 Kilogramm flüssigen Sauerstoff sowie 1 Kilogramm Benzin verbraucht hatte. Ohne Geld, aber mit der Bestätigung der Chemisch-Technischen Reichsanstalt in der Tasche fuhr Oberth beruhigt nach Rumänien zurück, um dort seine Lehrertätigkeit wieder aufzunehmen.

Die jüngeren VfR-Mitglieder ließen sich nicht unterkriegen. Mit der Zuversicht, dass auch der kleine Raketenmotor funktionierte, beschlossen Ley und einige Mitarbeiter, die Mirak-Rakete auf dem Lande einer Reihe von Tests zu unterziehen. Das sollte auf dem abgelegenen Bauernhof von Riedels Großeltern in Bernstadt in Sachsen geschehen. Nach dem Tod Max Valiers im Mai jenes Jahres bestand berechtigte Furcht, ähnliche Unfälle könnte sich wiederholen. Doch die Tests mit dem kleinen Raketenmotor verliefen im Sommer des gleichen Jahres gefahrlos und mit Erfolg.

Führende Mitglieder des Vereins für Raumschiffahrt (VfR) nach dem erfolgreichen Test der Kegeldüse. Links Rudof Nebel, daneben mit Hut Dr. Franz Ritter von der Chemisch-Technischen Reichsanstalt, rechts neben der „Oberth- Rakete“, die er für den Film entworfen hatte, Hermann Oberth, neben ihm Klaus Riedel, hinter ihm Wernher von Braun. Bild: NASA, Marshall Space Flight Center
Führende Mitglieder des Vereins für Raumschiffahrt (VfR) nach dem erfolgreichen Test der Kegeldüse. Links Rudof Nebel, daneben mit Hut Dr. Franz Ritter von der Chemisch-Technischen Reichsanstalt, rechts neben der „Oberth- Rakete“, die er für den Film entworfen hatte, Hermann Oberth, neben ihm Klaus Riedel, hinter ihm Wernher von Braun. Bild: NASA, Marshall Space Flight Center

1959 erinnert sich Wernher von Braun an jene frühen Versuche:

„Nie werde ich jene tastenden Versuche im Sommer 1930 vergessen, als es darum ging, eine mit Benzin und flüssigem Sauerstoff gespeiste Raketenbrennkammer mit Hilfe eines an einer langen Stange befestigten Dolches in Betrieb zu setzen. So rudimentär jene Versuche uns heute erscheinen mögen: sie waren ebenso wesentlich für den Erfolg der Großraketentechnik wie die Versuche Otto von Lilienthals oder der Gebrüder Wright für die moderne Luftfahrt.“

Doch am 7. September 1930 erhielt Willy Ley von Riedel ein Telegramm: „Mirak explodiert, keinen Schaden angerichtet; wir kommen zurück, bauen eine neue.“((Ley 1957a, S. 136.))

Und Willy Ley erzählt weiter: „Als wir diese Berichte in den vervielfältigten Bulletins abdruckten, mit denen wir die VfR-Mitglieder erreichten, fanden zwei Mitglieder, es sei an der Zeit kundzutun, dass sie wohlhabend waren.“((Ley 1957a, S. 136.)) Einer davon war der Fabrikant und Ingenieur Hugo A. Hückel, der schon Winklers Raketenforschung unterstützt hatte. Er schickte mehrere hundert Reichsmark als Spende und versprach einen monatlichen Zuschuss gleichfalls im Wert von einigen hundert Reichsmark, der ausschließlich zu Experimentierzwecken verwendet werden sollte. Ley erwähnt auch einen Ingenieur namens Dilthey, der in zwei Raten etwa 2000 Mark spendete.

Was den Raketenforschern am meisten fehlte, war ein richtiger Versuchsplatz. Nach gründlicher Suche in der Umgebung Berlins fand Rudolf Nebel schließlich auf einem unbenutzten alten Schießplatz der Wehrmacht im Berliner Vorort Reinickendorf etwas Passendes. Das Gelände war etwas hügelig und weil hier einmal Munition gelagert wurde, fanden die Raketenenthusiasten Betongebäude mit halbmeterdicken Wänden und dachhohen Erdwällen vor. Am 27. September 1930 wurde stolz der „Raketenflugplatz“ in Betrieb genommen, wofür eine symbolische Jahrespacht von 10 Reichsmark entrichtet werden musste.

Der Historiker Frank Winter berichtet von einem Dokument, das sein Kollege Michael Neufeld kürzlich entdeckt hat.((Winter 1992, S. 98.)) Danach habe Oberst Karl Becker vom Reichswehrministerium den VfR-Versuchsplatz in Reinickendorf einrichten lassen und auch die Pacht bezahlt. Diese Darstellung wäre eine Bestätigung dafür, dass einige Militärkreise schon früh ein Interesse für die Raketenwissenschaft zu zeigen begannen.

Nebel und Riedel, beide Junggesellen, richteten sich direkt auf dem Gelände ein, und Wernher von Braun kam so oft, wie es ihm möglich war, vorbei.

Auch Helmut Zoike, gerade erst 15 Jahre alt, stieß einen Monat später zu dem Team auf dem Raketenflugplatz. Sein Interesse an der Raumfahrt war – wie bei so vielen – durch Hermann Oberths Buch Wege zur Raumschiffahrt geweckt worden. Er erinnert sich:

„Ein Freund unserer Familie, der bei Siemens & Halske arbeitete, Dr. Weingraber, diskutierte mit mir über meine Meinung und Eindrücke bezüglich dieses Buches und unterstützte mein großes Interesse an diesem Thema. Er erzählte mir von den Tätigkeiten auf dem Raketenflugplatz Berlin… Nach einer schlaflosen Nacht fuhr ich mit dem Fahrrad von Siemensstadt nach Reinickendorf und traf mich mit den Herren Rudolf Nebel und Klaus Riedel sowie anderen Mitgliedern des Raketenflugplatzes. Sie wiesen mich an, alle möglichen Teile für den Raketenmotor herzustellen, insbesondere Ventile. Da ich zu der Zeit Lehrling bei Siemens & Halske war, gelang es mir, meine Vorgesetzten und Lehrer davon zu überzeugen, jene Teile während meiner Arbeitszeit herstellen zu dürfen. Abends und am Wochenende brachte ich sie zum Raketenflugplatz, wo ich dann auch bei Versuchsstarts dabei war.“

Bis März 1931 hatte das Team den Mirak-Versuchsstand, einen zweiten, größeren Stand, der ursprünglich für die Oberth-Rakete gedacht war, sowie einen mobilen Prüfstand fertiggestellt, worauf sie die neuen Ideen ausprobierten, mit denen zahlreiche Leute auf dem Raketenflugplatz auftauchten.

Abbildung 3.2. Zwei Raketenmotore, die auf dem Raketenflugplatz getestet wurden: A) Querschnitt durch den „Kopf“ der Mirak II. Die Brennkammer, eine Oberthsche Kegeldüse, liegt innerhalb des Flüssigsauerstofftanks, der Treibstoff befindet sich im Leitstab links. B) Der „Kopf“ eines späteren wassergekühlten Repulsors. Die zwei symmetrisch angeordneten „Stäbe“ enthalten den Treibstoff und den Flüssigsauerstoff für den Motor. Bild: Willy Ley, Rockets, Missiles and Space Travel, The Viking Press, 1957
Abbildung 3.2. Zwei Raketenmotore, die auf dem Raketenflugplatz getestet wurden: A) Querschnitt durch den „Kopf“ der Mirak II. Die Brennkammer, eine Oberthsche Kegeldüse, liegt innerhalb des Flüssigsauerstofftanks, der Treibstoff befindet sich im Leitstab links. B) Der „Kopf“ eines späteren wassergekühlten Repulsors. Die zwei symmetrisch angeordneten „Stäbe“ enthalten den Treibstoff und den Flüssigsauerstoff für den Motor. Bild: Willy Ley, Rockets, Missiles and Space Travel, The Viking Press, 1957

Riedel und Nebel setzten ihre Arbeit an der neuen Mirak fort (Abbildung 3.2.A). Eigentlich bestand sie nur aus einem Kopf und einem „Richtstab“, ähnlich der Konstruktion einer Pulverrakete. Der Kopf war aus Gussaluminium und sah aus wie ein Artilleriegeschoss. Er wurde entfernt, um den flüssigen Sauerstoff einzufüllen. Der Richtstab war eine Aluminiumröhre und diente als Benzintank. Am Boden des Sauerstoffbehälters befand sich eine kleine Brennkammer in der Form von Oberths Kegeldüse. Der flüssige Sauerstoff sollte den Motor kühlen, während gleichzeitig die Wärme des Motors etwas flüssigen Sauerstoff verdampfte, wodurch der nötige Druck entstand, um Brennstoff in die Kammer zu pumpen.

Auch die zweite, im Frühjahr 1931 getestete Mirak explodierte nach einigen Versuchen. Die Verbrennungshitze hatte den Metallmantel schmelzen lassen, was deutlich zeigte, dass der flüssige Sauerstoff die Brennkammer nicht ausreichend kühlen konnte. Die ganze Konstruktion musste dringend verbessert werden.

Bei der dritten Mirak war der Motor wieder unterhalb des Sauerstofftanks angebracht. Statt eines Seitenflügels entschied man sich für zwei Flügel in symmetrischer Anordnung. Der zweite Flügel wurde mit verdichtetem Stickstoff gefüllt, um Treibstoff und flüssigen Sauerstoff mit Druck in den Motor zu leiten. Die an Oberths Kegeldüse erinnerde Brennkammer war nicht mehr aus Stahl, sondern aus leichtem Aluminium mit eingebauter Wasserkühlung.

Für die neue Konstruktion entstand ein neuer Prüfstand. Dieser wurde dem Präsidenten der Amerikanischen Interplanetarischen Gesellschaft G. Edward Pendray vorgeführt, als dieser im April 1931 mit seiner Frau den Raketenflugplatz besuchte. Inzwischen hatte das VfR-Gründungsmitglied Winkler am 14. März in Dessau die erste Flüssigkeitsrakete Europas erfolgreich gestartet, was die Pioniere in Berlin-Reinickendorf natürlich stark motivierte.

Zum Bau einer Rakete, die der Mirak III entsprechen sollte, kam es aber nicht. Als Nebel zu einer Ausstellung nach Kiel gereist war, konstruierten Riedel und Ley die Rakete um. Flüssiger Sauerstoff und Benzin strömten nun von zwei verschiedenen Seiten in die Brennkammer ein (Abbildung 3.2.B), und Riedel brachte zusätzlich noch einen wassergefüllten Kühlmantel an.

Der erste „Flugtest“ des neuen Raketenmotors geschah eher unfreiwillig. Bei einem Versuch am 10. Mai 1931 rieß der Apparat aus der festen Verankerung des Prüfstandes und stieg rund 20 Meter in die Höhe. Schon vier Tage später wurde die gleiche Rakete, die wegen des Vorfalls „Repulsor“ (Ausreißer) getauft wurde, erneut gestartet. Sie erreichte etwa 60 Meter Höhe und landete dann im Sturzflug am Boden.

Die Bezeichnung „Repulsor“ bezog sich auch auf Kurt Lasswitzes Roman Auf zwei Planeten, worin der Autor den Treibstoff seines Marsraumschiffs „Repulsit“ genannt hatte.((Ley 1957a, S. 148.))

Am 23. Mai stieg Repulsor Nr. 2 ebenfalls ungefähr 60 Meter hoch. Dann legte er sich auf die Seite und raste mit gewaltiger Fahrt über den ganzen Raketenflugplatz. Glücklicherweise entstand kein Schaden.

Willy Ley wies darauf hin, dass alles, was auf dem Raketenflugplatz entwickelt wurde, nicht einer Einzelperson zuzuschreiben war, sondern in gemeinsamen Anstrengungen hervorgebracht wurde. Auch wurden bei jedem Experiment Teile verwendet, die anderswo entwickelt wurden und oft bereits patentiert waren. Eine Geschichte über Hermann Oberths Kampf mit der Bürokratie beleuchtet diesen Punkt recht treffend:

„Oberth wurde von ,Erfindern‘ mit enormen Ideen geradezu heimgesucht. Die Ideen waren Jahrhunderte alt. Trotzdem benahmen sich die Erfinder wie Kleinkinder. Fast ein jeder glaubte, seine Idee sollte ihm wenigstens eine halbe Million US-Dollar einbringen. Wenn Oberth eine Reihe schöpferischer Augenblicke durchlebt hatte, setzte er sich hin und fertigte eine Patentschrift für ein vollständiges Raumschiff mit allem, was dazugehörte, mit Luftfiltern, Wassergeneratoren usw. Es enthielt eine Menge Forschungsarbeit, erforderte einen Stapel Zeichnungen und eine lange Beschreibung.

Das deutsche Patentamt wies dann nach einiger Zeit mit einem noch längeren Schreiben den Antrag zurück. In dem Schreiben wurde Punkt für Punkt nachgewiesen, dass die gesamte Ausstattung des Raumschiffes bereits anderswo verwendet wird – meistens in Kraftwerken, Flugzeugen und U-Booten – oder dass sie schon patentiert oder vorher veröffentlicht worden war. Sie zeigten sich schließlich aber bereit, einige Teile zu patentieren, falls der Entwurf erkennen ließ, dass sie nur der speziellen Verwendung dienten.“((Ley 1943, S. 62.))

Ein Vierstab-Repulsor im Flug. Bild: National Air and Space Museum, Rolf Engel Collection, Smithsonian Institution, A-3919
Ein Vierstab-Repulsor im Flug. Bild: National Air and Space Museum, Rolf Engel Collection, Smithsonian Institution, A-3919

Repulsor 4 war eine Neukonstruktion, ein „Einstab-Repulsor“, bei dem die Benzin- und Sauerstoffbehälter nicht mehr nebeneinander, sondern hintereinander angeordnet waren und der Richtstab mitten durch die Rakete lief. In Briefen an G. Edward Pendray beschrieb Ley die neue aerodynamische Form. Der gesamte „Einstab-Repulsor“ sähe wie ein Pfeil aus und dies sollte die Stabilitätsprobleme lösen helfen. Beim Test stieg der Repulsor tatsächlich gut 1000 Meter hoch und stürzte anschließend in einen von der Polizei genutzten Schuppen, während die Ufa den Test für die Wochenschau filmte.

Natürlich hatte der Vorfall Folgen. „Die Polizei brach über den Raketenflugplatz wie eine feindliche Armee herein“, berichtete Ley, „und jede weitere Versuchsarbeit wurde dort ab sofort verboten“.((Ley 1957a, S. 151.)) Nach einer Untersuchung wurde allerdings das Verbot wieder aufgehoben, es mussten aber bestimmte Auflagen beachtet werden.

Die Nachricht über diesen dramatischen Testversuch verbreitete sich bald international. Auch im Bulletin der Amerikanischen Interplanetarischen Gesellschaft mit Sitz in New York wurde darüber berichtet. Der Präsident der Gesellschaft, der erst kurz zuvor den Raketenflugplatz besucht hatte, schrieb begeistert:

„Was auch immer die Zukunft an verschiedenen zusätzlichen Konstruktionen bringen mag, es dürfte jetzt trotzdem klar sein, dass wir mit dem ,Einstab-Repulsors‘ eine Rakete besitzen, die in größerer Bauart wissenschaftliche Instrumente in die Stratosphäre oder in das All oder auch Post, Frachtgut und sogar Reisende von einem Punkt der Erde zu einem anderen befördern kann.“((Williams and Epstein 1955, S. 166.))

Die Begeisterung der Öffentlichkeit in Deutschland war gewaltig. Ley erzählt, dass 1931 „jede denkbare Zeitschrift mindestens einen Artikel über unsere Tätigkeiten brachte“.((Ley 1943, S. 58.)) Als Ley Mitte Dezember 1931 seine Familie in Königsberg besuchen wollte, schrieb er einem dortigen VfR-Mitglied, er würde diese Tage zu Hause gerne für einen Vortrag nutzen.

„Meine Woche sah dann so aus“, berichtet er, „Sonntag, Radio; Montag, Ingenieursgesellschaft; Dienstag, frei; Mittwoch, Geographisches Seminar der Universität; Donnerstag, Kaufmannsliga; Freitag, Fachbereich für Physik der Universität; Sonnabend, frei; Sonntag, wieder Radio.“((Ley 1943, S. 59.)) Die Hälfte der Einnahmen aus diesen Auftritten führte er an den VfR ab.

Albert Einsteins Schwiegersohn Dimitri Marianoff erinnert sich in seiner Einsteinbiographie, dass der berühmte Wissenschaftler oft mit „Hauptmann“ Nebel gesprochen und ihn auch im Jahre 1932 auf dem Raketenflugplatz besucht habe.

Eine frühe Aufnahme von Willy Ley, Gründungsmitglied des Vereins für Raumschiffahrt. Bild: National Air and Space Museum, Smithsonian Institution, 81-12156
Eine frühe Aufnahme von Willy Ley, Gründungsmitglied des Vereins für Raumschiffahrt. Bild: National Air and Space Museum, Smithsonian Institution, 81-12156

„Der Raketenflugplatz bestand aus einigen äusserst einfachen Baracken und vielen Werkstätten. Man gewann den Eindruck, dass Nebels Leute fieberhaft zu Werke gingen. Die meisten schienen wie Offiziere unter militärischer Disziplin zu leben. Später erfuhr ich, dass sie sogar wie Einsiedler lebten. Nicht einer dieser Männer war verheiratet, rauchte oder trank. Sie gehörten ausschließlich einer Welt an, die von einer einzigen Idee beherrscht wurde und die ihnen von Herzen kam.“((Marianoff 1944 S. 115.))

Andererseits berichtete Ley, dass „die Ufa-Wochenschau und der Sieg über die ursprüngliche Polizeiordnung unser letzter Triumph waren. Was danach kam, war ein hoffnungsloser Kampf gegen politischen Druck und wirtschaftliches Elend. Es gab einen strengen Winter. Und es war dieser fatale Winter unter der Kanzlerschaft Brünings, der Adolf Hitler plötzlich ins Rampenlicht treten ließ.“((Ley 1957a, S. 152.))

Heinz Gartmann schildert die Bedingungen, unter denen auf dem Raketenflugplatz gearbeitet wurde: „Man lebte im großen und ganzen von der ,Wohlfahrt‘. Arbeitslos zu sein, war in dieser Krisenzeit der Millionen Arbeitslosen keine Schande. Hier war es grotesk, denn diese jungen Leute arbeiteten sich buchstäblich die Hände blutig.“((Gartmann 1955, S. 164.)) Ungefähr 15 technische Zeichner, Elektriker und Mechaniker hatten sich bei der Raketengruppe gemeldet, um bei freier Kost und Logis ihre erlernte Arbeit weiterhin ausüben zu können.

Der wirtschaftlichen Situation entsprechend schrumpfte die Mitgliederzahl des VfR auf 300. Viele Mitglieder schrieben, dass sie die Beiträge nicht länger bezahlen könnten. Auch der Industrielle Hugo Hückel teilte mit, dass er sich nicht länger finanziell an den Raketenexperimenten beteiligen könne.

Ley und andere führende Mitglieder des VfR suchten ständig nach neuen Geldquellen, um ihre Experimente fortsetzen zu können. Sie wandten sich an jeden, der ihnen irgendwie in den Sinn kam. So schickten sie am 6. Oktober 1931 auch einen Bittbrief an den Präsidenten von Noyes Buick Sales in Boston, Massachusetts. Darin boten sie ihm gegen eine Gebühr von 500 US-Dollar „Raketen-Shows“ als Werbeveranstaltungen für seine Autos an.((Winter, 1983, S. 36.))

Aber in der Depression kam die Wirtschaft weltweit zum Erliegen, und die Spenden flössen immer spärlicher. Aus Königsberg wandte sich Ley im Januar 1933 an Pendray. Er erklärte, dass „die Arbeit auf dem Raketenflugplatz erst im Februar oder März fortgesetzt wird, da wir im Januar Geld sammeln. Ich weiß, dass die wirtschaftliche Lage in den USA nicht so gut ist wie in den letzten Jahren, aber ich hoffe, dass die Welt in kurzer Zeit das Ende der Finanzkrise erreicht hat. (Mit ,kurz‘ meine ich ein oder zwei Jahre.)“

Die Inflation von 1923, Folge der ungeheuerlichen Reparationsleistungen wurde nur kurzfristig durch die Kreditorgie des Dawes-Plan überdeckt. Zwischen 1924 und 1929 verschuldete sich Deutschland um rund 900 Millionen Pfund Sterling im Ausland, hauptsächlich in den USA. 500 Millionen davon flössen unmittelbar in die Reparationszahlungen. Mit dem Rest versuchte die Regierung, die Wirtschaft anzukurbeln. Aber die Kredite und Anleihen knebelten die deutsche Wirtschaft, so wie heute die Auflagen des Internationalen Währungsfonds die Entwicklungsländer knebeln.

1929 brach in den USA der Aktienmarkt ein. Damit versiegte plötzlich der Strom weiterer Anleihen nach Europa, und die USA schwenkten auf eine deflationäre Konjunkturpolitik um. Dadurch kam der Welthandel zum Erliegen. Der Bankrott der Wiener Kredit-Anstalt 1931 löste auch in Europa die Panik aus und stürzte die deutsche Wirtschaft vollends in den Ruin. 1929 beliefen sich die deutschen Exporte noch auf rund 630 Millionen Pfund. 1932 waren es gerade noch 280 Millionen. Dafür schnellte die Zahl der Arbeitslosen von zwei auf sechs Millionen hoch.

Bei den Reichstagswahlen im September 1930 gewannen die Nationalsozialisten 107 Sitze. Zwei Jahre später waren sie die stärkste Partei. Im Wahlkampf hatten sie vor allem mit der Forderung, die Versailler Vertragsbedingungen zurückzuweisen, Stimmung gemacht. Unter der Kanzlerschaft General von Schleichers schien der Aufschwung der Nationalsozialisten abzubröckeln. Doch dann wurde von Schleicher durch das Zusammenspiel zwischen dem Bankier von Schroeder, dem Konservativen von Papen und dem Sozialdemokraten Rudolf Breitscheidt gestürzt und Hitler an die Macht gebracht.

Willy Ley kannte die politische und wirtschaftliche Lage in Deutschland sehr gut. Trotzdem war er zuversichtlich und hoffte, dass sich die Lage bald bessern würde. 1931 organisierte er eine Vortragsreise durch Ostpreußen, um Geld für ein Raketenprogramm zu sammeln. Es sollte der Welt wieder optimistische Zukunftsziele vor Augen fuhren.

Auf dem Raketenflugplatz in Berlin setzte Riedel seine Arbeit an der Verbesserung der Raketentriebwerke fort. Trotz der verbesserten Wasserkühlung brannten immer wieder die Motoren durch. Zusammen mit Ley kam er schließlich auf die Idee, statt die Brennkammer separat mit Wasser zu kühlen, den Brennstoff direkt mit Kühlwasser zu mischen. Das bedeutete, von Benzin auf Alkohol als Brennstoff umzusteigen, der in einem bestimmten Verhältnis mit Wasser vermischt wurde.

Sie wussten zudem, dass 3,5 Kilogramm Flüssigsauerstoff nötig waren, um 1 Kilogramm Benzin zu verbrennen. Dagegen brauchte man, um 1 Kilogramm Alkohol zu verbrennen, nur 2 Kilogramm des kostbaren Flüssigsauerstoffes. Schon Oberth hatte die Verwendung von Alkohol als Brennstoff empfohlen, bis man später auf den noch geeigneteren flüssigen Wasserstoff zurückgreifen konnte.

Als die Finanzlage immer aussichtsloser wurde, wandte sich Nebel an die Wehrmacht und bat um Unterstützung für die VfR-Raketenexperimente. Daraufhin meldete sich im April 1932 hoher Besuch an. Eine Delegation der Wehrmacht besichtigte den Raketenflugplatz, darunter Oberstleutnant Professor Karl Becker, Leiter des Heereswaffenamtes, sein Munitionsexperte Major von Horstig und Hauptmann Walter Dornberger. Größeren Eindruck als die primitiven Einrichtungen hinterließen bei ihnen zweifellos die fachkundigen Ausführungen des jungen Wernher von Braun. Schließlich einigte man sich darauf, dass die Gruppe für die Zahlung von 1000 Reichsmark auf dem Wehrmachtsgelände in Kummersdorf, 28 Kilometer von Berlin entfernt, eine Vorführung mit der Repulsor-Rakete vorbereiten sollte.

Drei Monate darauf packten Nebel, Riedel und von Braun – ohne die anderen Vorstandsmitglieder des VfR davon zu unterrichten – ihre Rakete und das nötige Zubehör zusammen und trafen Dornberger auf einem Feld in der Nähe von Kummersdorf. Von Braun schreibt darüber:

„Dornberger führte uns in einen fernen Winkel des Artillerie-Geländes, wo eine Reihe phantastischer Geräte aufgestellt waren – photographische Vermessungsgeräte, ballistische Kameras und Zeitmesser – alles Geräte, deren Existenz uns unbekannt war.

Auf ein Signal hin schnellte die Mirak II ungefähr 60 Meter hoch. An diesem Punkt verlief die Flugbahn fast waagerecht, so dass sie zerschellte, bevor sich der Fallschirm öffnen konnte.“((Ordway and Sharpe 1979, S. 19.))

Dornberger erinnerte sich in den fünfziger Jahren an dieses Ereignis und schrieb, diese missglückte Vorführung hätte dem Heereswaffenamt klargemacht, „welche Fülle von grundlegenden Fragen erst wissenschaftlich und technisch einwandfrei beantwortet werden mussten, ehe man an die Konstruktion von flugfähigen Geräten gehen konnte“.((Dornberger 1952, S. 39.))

Trotz des Misserfolgs der Vorführung gab sich Nebel größte Mühe, die Wehrmacht davon zu überzeugen, Gelder für die weitere private Entwicklungsarbeit an den Raketen bereitzustellen. Doch die Wehrmacht zeigte wenig Interesse, Amateurversuche auf dem Raketenflugplatz zu unterstützen, und machte außerdem Bedenken bezüglich der militärischen Geheimhaltung geltend. Schließlich suchte Wernher von Braun Oberst Becker persönlich auf. „Wir sind sehr an der Raketentechnik interessiert“, erinnert sich von Braun an Beckers Worte. „Aber da sind etliche Fehler in der Art und Weise, wie Ihr Verein diese Entwicklungen handhabt. Für unsere Belange gibt es zu viele Show-Einlagen. Sie täten besser daran, wissenschaftliche Daten zu erstellen, als Spielzeugraketen abzufeuern.“((Von Braun 1956, S. 130.))

Die Schau sei nötig, um Geld zur Finanzierung der Versuche zusammenzubringen, entgegnete von Braun. Da bot Becker „ein gewisses Maß finanzieller Unterstützung an, vorausgesetzt wir arbeiteten in völliger Anonymität und innerhalb des Wehrmachtsbereiches. In Reinickendorf würde es keine militärisch geförderte Raketenforschung geben.“

Nebel lehnte das Ansinnen strikt ab. Auch Klaus Riedel, der spätere Leiter der Versuchsabteilung in Peenemünde, äusserte zu den von Braun überbrachten Vorschlägen, man solle lieber versuchen, mehr privates Geld für die weiteren Forschungen aufzutreiben. Er war zunächst nicht bereit, mit von Braun zur Heeresversuchsanstalt nach Kummersdorf überzuwechseln.

Schon bald nach jener unglücklichen Vorführung und noch vor Hitlers Machtergreifung wurde von Braun der erste Zivilangestellte, der für die Wehrmacht an der Entwicklung von Flüssigkeitsraketen arbeitete.

Nebel setzte nun alles daran, um an Geld zu kommen. Er schreckte auch vor politisch abenteuerlichen und manchmal recht skrupellosen Wegen nicht zurück. Dabei überwarf er sich bald mit dem VfR und ging seiner eigenen Wege. Ohnehin war der VfR in Auflösung begriffen. „Um Weihnachten 1933“, erinnert sich Ley, „waren jedem die Hände durch das rücksichtslose totalitäre Regime gebunden. In jenem Winter, nach einer stürmischen Vereinssitzung, fiel der VfR vollends auseinander. Und obwohl ich vorgab, einen neuen Verein mit neuem Namen zu organisieren, unternahm ich im Stillen die ersten Schritte, Deutschland zu verlassen.“((Ley 1957a, S. 161.))

Es war überhaupt nicht selbstverständlich, dass Ley zu jener Zeit Deutschland einfach verlassen konnte. Willy Ley stand wie viele andere Raketenforscher des VfR mit Raumfahrtbegeisterten in der ganzen Welt in Verbindung, besonders mit russischen Wissenschaftlern. Und genau diese Verbindungen waren es wahrscheinlich auch, die das nationalsozialistische Regime am meisten störte.

1932 hatte Willy Ley in einem Brief an Hermann Oberth geschrieben:

„Gestern abend nun kam ich mit einem russischen Professor (Physiker) zusammen, der Duzfreund der obersten Regierungskommissare ist… Die Russen sind bereit, unter Ausscheidung aller Rentabilitätsabsichten… in einer russischen Großstadt meines Wunsches ein Forschungslaboratorium in von mir beantragtem Maßstab zu errichten. Deutsche oder zumindest deutsch sprechende Arbeiter und Handwerker und wissenschaftliche Mitarbeiter. Sechstägige Arbeitswoche bei sechs bis sieben Stunden täglicher Arbeitszeit, Gehalt wird vereinbart,… wovon 50 Prozent nach Hause geschickt werden dürfen… Kein Zwang zur politischen Betätigung… So ein Vertrag würde auf ein bis zwei Jahre ausgestellt sein.“

Weder Ley noch Oberth haben je ein solches Angebot angenommen. Aber da die Raketenforschung ein militärisch sensibler Bereich zu werden begann, war jeder, der dort arbeitete und zugleich mit Ausländern Verbindung aufnahm, verdächtig. Aus diesem Grund verhaftete die Gestapo schon am 4. April 1933 den Raketenpionier Rolf Engel und dessen Mitarbeiter Heinz Springer, der früher mit Johannes Winkler zusammengearbeitet hatte. Die Gestapo beschlagnahmte ihre Unterlagen und eröffnete beim Reichsgericht ein Verfahren wegen Landesverrats. Man drohte Engel ernste Folgen an, falls er weiterhin mit ausländischen Wissenschaftlern in Verbindung bliebe. Zur Einschüchterung wurde er noch sechs Wochen im Gefängnis festgehalten, bevor man ihn endlich freiließ.((Päch 1980, S. 232.))

Ende 1934 plante Ley eine Reise nach England unter dem Vorwand, Artikel für verschiedene deutsche Zeitungen zu schreiben. Tatsächlich wollte er in London den Leiter der Britischen Interplanetarischen Gesellschaft, Philip Ellaby Cleator, aufsuchen und dann für immer nach Amerika auswandern. In Briefen kündigte er Edward Pendray in New York an, dass er im Februar 1935 in den USA eintreffen wolle. Aus Sorge um seine Familie in Deutschland bat Ley die Amerikanische Raketengesellschaft (American Rocket Society, ARS), nichts von seiner Reise zu veröffentlichen. Ende Januar hatte er endlich ein Visum erhalten und reiste in Richtung London ab. „Ein alter Traum erfüllt sich für mich mit dieser Reise, und dafür habe ich Ihnen zu danken“, schreibt er an den ARS-Vorsitzenden Pendray.

Auch Oberth trat aus dem VfR aus; Riedel, Hans Hüter, Herbert Schäfer und Helmut Zoike fanden bei Siemens Anstellungen. Am 7. April 1936 folgte Schäfer Willy Ley nach Amerika. Das war das Ende des VfR und der privaten Raketenforschung in Deutschland.

Von Braun begann in Kummersdorf zusammen mit Hauptmann Dornberger an den Raketen der nächsten Generation zu arbeiten. In den folgenden fünf Jahren scharten sich viele seiner Freunde vom Raketenflugplatz sowie Mitglieder anderer Raketenvereine aus Deutschland um ihn und folgten ihm schließlich nach Peenemünde.

Wernher von Braun hatte seine Arbeit bei der Wehrmacht zu einer Zeit aufgenommen, als dort noch der Geist des traditionellen preußischen Offizierskorps vorherrschte. Viele der höheren Offiziere hatten in den Wirren der zwanziger und dreißiger Jahre versucht, das Militär aus der Politik herauszuhalten. Genauso sollten auch die Nationalsozialisten und ihre Ideologie von der Truppe ferngehalten werden. Das gelang zu einem gewissen Grad bis zum Attentatsversuch auf Hitler am 20. Juli 1944, an dem selbst eine große Zahl führender Militärs beteiligt war.

Bis in die ersten Kriegsjahre unterstand das Raketenprogramm dem Heereswaffenamt, das es streng geheimhielt. Hitler und die NSDAP zeigten aus ideologischen Gründen zunächst ohnehin wenig Interesse an Raketen. Erst als Hitler in der verzweifelten Endphase des Krieges in der Raketentechnik eine mögliche „Wunderwaffe“ zu sehen begann, versuchte die SS, das Raketenprogramm unter ihre Kontrolle zu bekommen.

Dieser Umstand wird heute von einigen als Vorwand benutzt, um das Programm insgesamt in Verruf zu bringen. Vor allem die Motive Wernher von Brauns, mit Hauptmann Dornberger zusammenzuarbeiten, werden in ein schiefes Licht gestellt. Krafft Ehricke nahm hierzu eindeutig Stellung:

„Es ist das geschichtliche Verdienst Wernher von Brauns, als erster erkannt zu haben, wie hoffnungslos private Anstrengungen auf Dauer sein mussten, um nur einen kleinen Ausschnitt der gesamten Raketenentwicklung, nämlich das Antriebssystem, gut voranzubringen. Dr. von Braun hob die Frage nach der Zukunft der Raketenentwicklung über das Niveau von Hinterhofbastlern hinaus. Dort mochten damals die Helden vieler Science-fiction-Romane das Raumschiff neu erfinden, es in ihrer Garage bauen und ihre Nachbarn mit einem unerwarteten ,Start zum Mond‘ überraschen.

Von Braun erkannte, dass nur die Großindustrie und die Regierung das nötige Geld für Labors, Ausrüstung und professionelle Mitarbeiter bereitstellen konnte, um der Größe dieser Aufgabe gerecht zu werden. Alle Bemühungen um private Unterstützung waren fehlgeschlagen… Eine begründete visionäre Begeisterung, verbunden mit klarem Realitätssinn, kühnem Führungsstil bei Berücksichtigung der Tatsachen des Lebens befähigten Wernher von Braun, [zwischen 1934 und 1945] die Epoche der modernen Raketenentwicklung einzuleiten“.((Ehricke 1960b, S. 20.))

In seinem Rückblick auf die kurze, aber fruchtbare Arbeit des VfR schrieb Willy Ley:

„1934 hatten die Experimente ein Stadium erreicht, an dem deren Fortsetzung für jede [private] Vereinigung zu teuer wurde, es sei denn, es handelte sich um einen Millionärsclub… Auf dem Raketenflugplatz machten wir alles, was im Kleinen erreicht werden konnte… Wir waren fast soweit, Wetterraketen zu bauen, als die Nazis aufmarschierten… Aber wir hätten den Bau selbst unter den günstigsten politischen Voraussetzungen wahrscheinlich nicht bezahlen können.“((Ley 1943, S. 73.))

Zu Recht war Ley auf die Leistungen des VfR stolz. Er schrieb: „Zwischen August 1929 und Juni 1933 fanden 490 Bodentests für Raketenmotore statt, wobei vier Stände gebraucht wurden, dazu kamen ungefähr 95 Raketenflüge“. Von Amerika aus konnte Ley nicht mehr erkennen, was in Deutschland, insbesondere in Peenemünde, vor sich ging. Daher schrieb er damals, dass die Raketenarbeit während des Krieges ruhte. Dabei versicherte er seinen Lesern aber, dass „ich keinen Moment an der Verwirklichung ihres eigentlichen Zieles, des Raumschiffs, gezweifelt habe“.((Ley 1943, S. 73.))

Die VfR-Ableger

Von der Raketengesellschaft der Amateure vollzog sich in Deutschland der Sprung unmittelbar zum großangelegten Militärprojekt, aus dem die erste Fernlenkrakete der Wfelt hervorging und das die Grundlagen des späteren amerikanischen Raumfahrtprogramms legte. Die eigentliche Leistung des VfR dabei war, dass er in vielen die Vorstellung weckte, es könnte dem Menschen tatsächlich gelingen, in den Weltraum vorzudringen. Der Verein regte begeisterte junge Menschen zu eigenen Raketenexperimenten an und führte der Öffentlichkeit vor, welche Möglichkeiten die Raumfahrt eröffnen könnte.

Auch in den beiden anderen Nationen, die sich als Gründungsväter der Raumfahrt rühmen – den USA und der Sowjetunion –, war es die Arbeit Hermann Oberths und des VfR, die junge Menschen begeisterte. Der Raumfahrthistoriker Frank Winter schrieb in seinem Buch Raketen ins All 1990 zu Recht, die Arbeiten Ziolkowskis und Goddards seien zwar schon vor Oberth erschienen, aber erst Oberths Buch habe den „Grundstein für das Raumfahrtzeitalter“ gelegt. „Kraft seiner Gründlichkeit und dadurch, dass seine Ideen frei veröffentlicht wurden, löste er eine weltweite Bewegung aus, so dass allein Hermann Oberth den Titel ,Vater des Raumfahrtzeitalters‘ verdient.“((Winter 1990, S. XII und S. 25.))

Raumfahrtaktivitäten in den USA

Am 4. April 1930 kam bei G. Edward Pendray und dessen Frau Lee Gregory in New York eine kleine Gruppe Raumfahrtbegeisterter, vorwiegend Science-fiction-Autoren, zusammen. Sie gründeten die Amerikanische Interplanetarische Gesellschaft (AIS). Vier Tage später schrieb David Lasser, eines der Gründungsmitglieder, an Robert Goddard und bat ihn, vor der Gesellschaft einen Vortrag zu halten. Doch dieser „lehnte höflich ab“.((Winter 1983, S. 74.)) Die Gesellschaft hielt ihre erste öffentliche Versammlung drei Wochen später ab.

Im Juni desselben Jahres erschien unter Leitung David Lassers die erste Ausgabe des Bulletin, das später Astronautics und dann Jet Propulsion (Düsenantrieb) hieß. Das Bulletin druckte vor allem Übersetzungen europäischer Beiträge und einen lebhaften Schriftwechsel mit dem VfR ab. In der Ausgabe November/Dezember 1930 berichtete zum Beispiel Willy Ley, dass der VfR einen Raketenversuchsplatz gefunden habe. Nebel und Riedel arbeiteten an Problemen der Zündung, der Stabilisierung sowie am Entwurf eines Bremsfallschirms. Ley versprach, weitere „Einzelheiten aus den Versuchsreihen in unserem nächsten Bulletin mitzuteilen“.((Williams and Epstein 1955, S. 173.))

Die erste Ausgabe des Bulletin 1931 kündigte den Besuch von Robert Esnault-Pelterie an, der vor der Gesellschaft sprechen sollte. Sogleich liefen die Vorbereitungen an, um einen der bekanntesten Raumfahrtpioniere aus Europa gebührend zu empfangen. Plakate über das Treffen wurden in der Stadt aufgehängt, und „dank der Beziehungen einiger Mitglieder zu den großen Zeitungen“ wurde sehr viel Reklame gemacht.((Pendray 1955, S. 587.)) Zwar musste Esnault-Pelterie wegen seines vollen Terminkalenders und seiner angeschlagenen Gesundheit den Besuch wieder absagen, dennoch kamen über 2000 Leute in den Versammlungssaal des Museums für Naturgeschichte, wo Pendray die geschriebene Rede Esnault-Pelteries verlas. Außerdem wurden Ausschnitte des Film Frau im Mond mit Oberths Rakete vorgeführt. Die Vorstellung musste für die vielen Besucher, die zwei und mehr Stunden vor der Tür gewartet hatten, wiederholt werden.

G. Edward Pendray, Gründungsmitglied der Amerikanischen Interplanetarischen Gesellschaft, besuchte den Raketenflugplatz in Berlin im April 1930, hier am Prüfstand der Mirak. Hinter ihm mit dem Gesicht zur Kamera ist Klaus Riedel. Bild: National Air and Space Museum, Smithsonian Institution, A-3548
G. Edward Pendray, Gründungsmitglied der Amerikanischen Interplanetarischen Gesellschaft, besuchte den Raketenflugplatz in Berlin im April 1930, hier am Prüfstand der Mirak. Hinter ihm mit dem Gesicht zur Kamera ist Klaus Riedel. Bild: National Air and Space Museum, Smithsonian Institution, A-3548

Im April 1931 reisten die Pendrays nach Europa und trafen sich mit Willy Ley auf dem Raketenflugplatz. Sie beobachteten einen Probelauf des Mirak-Motors und vereinbarten den förmlichen Austausch von Informationen zwischen beiden Gesellschaften. Die Pendrays waren von der Offenheit der deutschen Forscher überaus angetan, denn sie unterschied sich so ganz von der ablehnenden Haltung, die sie bei Robert Goddard erfahren hatten.

Am Abend des 1. Mai 1931 berichtete Pendray der AIS von seiner Reise. Der Bericht erschien in der Dezember-Ausgabe des Bulletin unter dem Titel „Neueste weltweite Fortschritte in der Raketentechnik“. Darin heißt es:

„Um die Bedeutung der Entwicklungen richtig zu erfassen und ihre Ursprünge zu erkennen, müssen wir zu der Arbeit des VfR auf dem Raketenflugplatz in Berlin zurückkommen… Abgesehen von der Tatsache, dass das technische Interesse an den Möglichkeiten von Raketen zuerst in diesem Land durch die Forschungen Dr. Goddards geweckt wurden, scheinen die Deutschen die ersten gewesen zu sein, die diese Gedanken konstruktiv umsetzten und dafür viel Zeit und Geld geopfert haben. Wie dem auch sei, es scheint, dass der Raketenflugplatz in Berlin heute, von ein oder zwei Ausnahmen abgesehen, die Inspirationsquelle für alle Raketenexperimente ist.

Das rührt zweifellos daher, dass die Deutschen ihre Entwürfe oder Entdeckungen nie verheimlicht haben. Sie verschleiern nicht die Berichte über geheime Brennstoffe oder Konstruktionen. Sie gaben die Ergebnisse ihrer Entdeckungen offen an andere Experimentatoren weiter. Nur dadurch und durch ihren Einsatz konnte die Raketentechnik weiter vorankommen.“((Williams and Epstein 1955, S. 179 f.))

1931 zählte die AIS ungefähr 100 Mitglieder. David Lassers Buch Die Eroberung des Weltalls erschien. Es war das erste Buch, das in englischer Sprache Fragen der Raumfahrt darstellte. Dank der Unterstützung durch die Mitglieder konnten 5000 Exemplare gedruckt werden.((Winter 1983, S. 80.))

Angespornt von den Berichten aus Deutschland schlug Hugh Franklin Pierce, ein arbeitsloser Ingenieur, im Dezember 1931 vor, die AIS solle eine eigene Rakete bauen. Bereits im Februar 1932 stellten Pierce und Pendray den Mitgliedern der Gesellschaft eine von ihnen selbst entworfene Rakete vom Typ des deutschen Zweistab-Repulsors vor.

1962 schrieb Pendray über diese frühe Phase der AIS: „Da Goddard in Neumexiko nicht mitarbeiten wollte, blieb uns, die wir das Zeitalter der Raumfahrt in Gang bringen wollten, nichts anderes übrig, als sich an den nächstbesten zu halten, das war der Verein für Raumschiffahrt in Berlin.“((Emme 1964, S. 19.))

Die erste amerikanische Rakete deutschen Typs wurde so charakterisiert: „Keine Heldentat der Ingenieurskunst, aber ein Beispiel für Sparsamkeit und Einfallsreichtum.“ Das Modell hatte 49,40 US-Dollar gekostet. Der Rumpf bestand aus Blechplatten, die Seitenflossen aus Holz; die Aluminiumhülle zur Wasserkühlung diente vorher als Cocktail-Shaker, der Fallschirmhalter war ein Aluminium-Kochtopf, und „der Fallschirm aus Pongeseide [kam] aus einem Warenhaus“.((Winter, 1990, S. 39.))

Am 12. November 1932 zündeten Mitglieder der AIS nahe Stockton in New Jersey einen Raketenmotor, der mit Flüssigsauerstoff und Benzin betrieben wurde. Er erreichte am Boden ungefähr 20 Sekunden lang eine Schubkraft von ungefähr 27 Kilogramm. Den ersten Raketen-Flugversuch unternahm die AIS mit einem Gerät, das Bernard Smith konstruiert hatte. Es erreichte am 14. Mai 1933 eine Höhe von 80 Meter, dann platzte der Sauerstoffbehälter. Über das Ereignis berichteten mehrere Zeitungen.((Williams and Epstein 1955, S. 184 f.))

Die dritte AIS-Rakete, die aus Konstruktionsgründen Probleme beim Betanken hatte, wurde 1939 auf der New Yorker Weltausstellung gezeigt. Im Herbst 1934 führte die AIS ihren letzten Flugtest durch. Die Rakete flog 450 Meter weit und erreichte eine Geschwindigkeit von 330 Meter pro Sekunde. Bis zum Kriegsbeginn beschäftigte sich die Gesellschaft damit, Motoren zu konstruieren und sie am Boden zu erproben. Man wollte vor einem weiteren Flugversuch zuerst das für die Rakete wichtigste Kernstück weiterentwickeln.

Anfang der dreißiger Jahre testete die Amerikanische Interplanetarische Gesellschaft auf Staten Island im Staate New York und in New Jersey Raketen. Auf dem Fass stehend G. Edward Pendray, während er an der Startvorrichtung hantiert. Bild: National Air and Space Museum, Smithsonian Institution, 83-298
Anfang der dreißiger Jahre testete die Amerikanische Interplanetarische Gesellschaft auf Staten Island im Staate New York und in New Jersey Raketen. Auf dem Fass stehend G. Edward Pendray, während er an der Startvorrichtung hantiert. Bild: National Air and Space Museum, Smithsonian Institution, 83-298

Auch nachdem sich der VfR in Deutschland aufgelöst hatte, arbeitete in den USA die AIS mit Optimismus weiter. In der Juli-Ausgabe 1934 des Scientific American schrieb AIS-Präsident Pendray: „Es gibt eine Fülle theoretischer Unterlagen und einige Beweise für die Annahme, dass wir eine Rakete zum Mond, zur Venus oder zum Mars schießen und zurückkehren lassen können. Voraussetzung ist, wir haben den starken Willen dazu, genügend Geld und experimentelle Daten… Geduldige Mathematiker können heute schon die Probleme der Flugbahnberechnung lösen und geben Hinweise zur Konstruktion der Instrumente, mit denen sich die Flugbahn bestimmen lässt.“ Er fügt jedoch hinzu, dass „heute schnelle Fortschritte durch den Geldmangel hinausgezögert werden“.((Pendray 1934, S. 10 und 12.))

Nach seiner Ankunft in New York 1935 nahm Willy Ley Verbindung zu seinen amerikanischen Kollegen auf und arbeitete mit anderen Mitgliedern der Interplanetarischen Gesellschaft an einem raketengetriebenen Gleiter zur Postbeförderung. Gleichzeitig tat er alles, um mit einer Fülle allgemeinverständlicher Veröffentlichungen die Phantasie der Menschen zu beflügeln.

Eine ganz neue Entwicklung begann, als sich im Juni 1932 innerhalb der AIS ein Komitee für biologische Forschung gründete. Die beiden AIS-Mitglieder Laurence Manning und Thomas Norton berichteten von Untersuchungen mit Meerschweinchen, die sie in einer Zentrifuge bei 600 Umdrehungen pro Minute mit etwa der 30fachen Erdanziehung (30 G) belasteten.((Winter 1983, S. 80.)) Sie wussten damals natürlich nicht, dass Wernher von Braun als Oberschüler zusammen mit Constance Generales in der Nähe von Zürich bereits ähnliche Versuche durchgeführt hatte.

1936 bekam der arbeitslose Maschinenbauingenieur Alfred Africano für seine Raketenentwürfe den REP-Hirsch-Preis. 1942 arbeitete er beim Forschungskomitee für nationale Verteidigung an der Raketenentwicklung. Nach dem Krieg ging er zur Curtiss-Wright Corporation und arbeitete später für die Raketenabteilung der Chrysler Corporation im Redstone-Arsenal in Huntsville. Danach wirkte er bei der Firma Rockwell am Apollo-Programm mit und war auch an den Anfängen des Space Shuttle beteiligt.((Winter 1983, S. 16.))

Die AIS versuchte außerdem, das meteorologische Institut für künftige Raketenanwendungen zu interessieren, denn die Forschungsballons und Flugzeuge, die bisher für wetterkundliche Zwecke eingesetzt wurden, hatten besonders bei schlechter Witterung enge Grenzen.

Ein Beitrag der Oktober-Ausgabe 1937 von Astronautics umriss, welche Eigenschaften eine Wetterrakete haben müsste. Die Rakete sollte fünf Kilometer Höhe erreichen, Instrumente von bis zu einem Kilogramm Gewicht mit sich führen können und sich einfach und sicher handhaben lassen. Nur ein bis zwei Mann mussten die Rakete starten können, und ein Flug sollte nicht mehr als 20 US-Dollar kosten. Schließlich sollte die Rakete nicht über einen Umkreis von einer halben Meile hinausfliegen, bei der Landung unbeschädigt bleiben, leicht auffindbar und wiederverwendbar sein. Um diese Vorgaben zu erfüllen, durfte die Rakete beim Start nicht mehr als 10 Grad von der Senkrechten abweichen. Die Absinkgeschwindigkeit sollte 16 Kilometer pro Stunde nicht überschreiten.((Williams and Eppstein 1955, S. 192 f.))

Die Amerikanische Raketengesellschaft (ARS), in die die AIS sich umbenannte, wuchs und konnte bald verschiedene Abteilungen und Ausschüsse einrichten. Der Technikausschuss übersetzte Dokumente und Artikel aus verschiedenen Sprachen. Andere Ausschüsse zum Beispiel für Fragen der Astronautik, Chemie, Physik, Astronomie, des Maschinenbaus, der Elektrotechnik sowie der Auswirkungen auf Lebewesen bildeten sich, als Fachleute aus diesen Gebieten der Gesellschaft beitraten, die ihr Wissen in das neue Gebiet der Raumfahrt einbringen wollten.

James Wyld, der dem Nationalen Beirat für Astronautik – dem Vorgänger der NASA – in Langley Field, Virginia, 1940 beigetreten war, entwarf einen Raketenmotor mit regenerativer Kühlung, wozu er von einem Aufsatz Eugen Sängers angeregt worden war, den er aus dem Deutschen übersetzte. 1941 bot ihm die Marine einen Halbjahresvertrag für 5000 US-Dollar an, um eine Reihe von Versuchsmotoren mit einer Schubleistung von 50 bis 500 Kilogramm zu bauen. Zu diesem Zweck gründete er mit drei weiteren ARS-Mitgliedern die Firma Reaction Motors, Inc. Die Marine setzte die Motoren als Starthilfen beim Flugboot PBM ein. 1946 baute Reaction Motors einen aus vier Aggregaten bestehenden Raketenmotor, der das Flugzeug X-1 der Firma Bell antrieb und später in der Viking-Rakete verwendet wurde. Die Reaction Motors ging später in der Thiokol Chemical Corporation auf, die heute unter anderem die Feststoff-Startraketen des Space Shuttle liefert.

Frank Winter meint, die AIS sei für die Raumfahrt „die zweitwichtigste Organisation hinter dem VfR“ gewesen.((Winter 1990, S. 39.)) Sie konnte zwar nicht mit großen Leistungen wie ihre Kollegen in Deutschland aufwarten. Aber viele amerikanische Pioniere der ersten Zeit widmeten sich nach dem Krieg ganz der militärischen und zivilen Raumfahrt.

Die Gesellschaft regte überall im Lande die Gründung kleinerer Raketenclubs an und koordinierte deren Aktivitäten. Einer der erfolgreichsten dieser Clubs war die Cleveland Rocket Society (CRS), die von dem Deutschen Ernst Loebell gegründet wurde, der 1929 nach Amerika ausgewandert war. Der örtliche Ingenieursverband war 1933 an Loebell mit der Bitte herangetreten, einen Vortrag über Raumfahrt zu halten. Aus den Vorbereitungen dazu entwickelte sich dann die Cleveländer Raketengesellschaft.

Auch Loebell konstruierte ein Antriebssystem mit regenerativer Kühlung, sogar schon drei Jahre vor James Wyld. Da aber um 1935 die Geldmittel der CRS versiegten, gelangte diese technisch fortgeschrittene Rakete nicht zum Start, obwohl mit ihr erfolgreiche Bodentests durchgeführt worden waren.

Im April 1937 bat das französische Wirtschafts- und Handelsministerium die Cleveländer Raketengesellschaft, an der Weltausstellung in Paris teilzunehmen, und die Gesellschaft schickte eines ihrer Raketenmodelle. Aber schon im Sommer desselben Jahres war die Finanzlage untragbar geworden, und „die Gesellschaft mit all ihren Tätigkeiten hörte auf zu existieren“.((Winter, 1983, S. 102.))

Ernst Loebell schloss sich William Lear, dem Erfinder des sogenannten Learjets, an und arbeitete mit ihm die nächsten 26 Jahre zusammen.

Die zweite Raketenweltmacht, die Sowjetunion, verfolgte wie Deutschland in den 30er Jahren ein Raketenprogramm für militärische Zwecke. Aber auch dort hatten sich, bald nachdem Hermann Oberths Buch erschienen war, private Raketengesellschaften gebildet.

Raumfahrtaktivitäten in Russland

Friedrich Arturowitsch Zander, seit seiner Kindheit ein Ziolkowski-Verehrer, gründete 1924 die erste Raketengesellschaft der Welt, die er in einer Rede vor der Moskauer Gesellschaft der Amateurastronomen vorgeschlagen hatte.((Winter 1983, S. 27.)) Im April entstand sie als Teil der militärwissenschaftlichen Abteilung an der Luftwaffenakademie N. E. Schukowski, und schon einen Monat später ging sie in der Gesellschaft für die Erkundung Interplanetarischer Kommunikation (OIMS) auf.

Man plante die Herausgabe einer Zeitschrift und kündigte vielfältige Vorhaben an. Zum Beispiel sollten in einem Wettbewerb kleine Raketen gebaut werden. Es wurden Vorträge gehalten, und die Mitgliederzahl wuchs auf 150 an. Aber noch vor Ablauf des Jahres 1924 brach die Gesellschaft wieder auseinander. Winter macht dafür Geldmangel verantwortlich, aber auch die chaotischen Zustände in der Sowjetunion.((Winter 1983, S. 28.))

Am meisten Aufmerksamkeit erregten die ersten sowjetischen Raketengesellschaften durch ihre Teilnahme an internationalen Ausstellungen, da sie das Neueste und Aufregendste zeigten, was Wissenschaft, Technik und Industrie in diesem Bereich zu bieten hatten. 1927 lud der Internationale Erfinderverband alle Länder zur Teilnahme an einer Ausstellung ein, die am 10. Februar 1927 im Gebäude der Vereinigung der Erfinder in Moskau stattfinden sollte. „Es war die erste Ausstellung der Welt, auf der Modelle und Bauteile von Raumfahrzeugen zu sehen waren, welche Erfinder aus verschiedenen Ländern konstruiert hatten.“((Winter 1983, S. 29.))

Die Ausstellung fand jedoch erst zwischen April und Juni 1927 statt und zeigte unter anderem eine Abschusskanone, wie sie sich Jules Verne vorgestellt hatte, die Arbeiten und Entwürfe von Goddard, Ziolkowski, Oberth und Valier, Skizzen über nukleare Raketenantriebe, Raumanzüge und Entwürfe einer Raumstation.((Winter 1983, S. 30.))

Eine der Raketengruppen in der UdSSR mit dem bekannten Professor Nikolai A. Rynin an der Spitze führte kleinere Raketenexperimente durch, wagte sich aber noch nicht an größere Versuche.

1928 wurde in Leningrad die Versuchsanstalt für Gasdynamik eingerichtet. Im Jahr danach schlug ein jüngerer Angestellter mit Namen Walentin Gluschko vor, in die bereits laufenden Forschungsarbeiten an Feststoffraketen auch Versuche mit Motoren für Flüssigbrennstoff aufzunehmen. 1932 wurde das Institut Marschall Michail Tuchatschewski, dem sowjetischen Rüstungsminister und zweiten Mann im Revolutionären Kriegsrat der Sowjetunion, unterstellt, der sich schon seit einigen Jahren für die Raketenforschung einsetzte. Wie der Raumfahrtexperte James Oberg berichtet, „blühte die Raketenforschung unter dem Schutz Tuchatschewskis.“

1931 bildeten sich in der Sowjetunion zwei weitere Organisationen für den Raketenbau: die Gruppe zur Erforschung von Reaktionsmotoren (GIRD) mit Sitz in Moskau und eine ähnlichen Namens in Leningrad. In diesen und ähnlichen Gruppen kamen Raumfahrt-Begeisterte zusammen, von denen viele später im sowjetischen Raumfahrtprogramm arbeiteten, darunter der berühmte Raketenkonstrukteur Sergei Pawlowitsch Koroljow. Ihre Aktivitäten fanden zwar internationale Anerkennung, aber als reine Amateurgruppen konnten sie sich meistens nicht lange halten.((Winter 1983, S. 57.)) Sie wurden schnell vom Militär übernommen und für militärische Forschungen herangezogen.

Die politische Lage in der Sowjetunion spitzte sich jedoch ständig zu. Am 10. Juni 1937 wurde Marschall Tuchatschewski verhaftet, und „sein ganzer Stab folgte ihm ins Gefängnis und in den Tod“.((Oberg 1981, S. 18.)) Tuchatschewski wurde zusammen mit sieben weiteren Generälen hingerichtet und letztlich fielen 35.000 Offiziere der Roten Armee den Stalinschen Säuberungen in den Jahren 1937 und 1938 zum Opfer. Auch Koroljow wurde verhaftet,((Winter 1983, S. 64.)) ähnlich dem, was Wernher von Braun unter den Nazis erleben musste.

Es ist schwer, Einzelheiten über die technischen Fortschritte der sowjetischen Raketenwissenschaftler und Ingenieure seit Mitte der 30er Jahre in Erfahrung zu bringen, da alles der militärischen Geheimhaltung unterlag. Dennoch lässt sich der Lebensweg der bekanntesten Experten des späteren sowjetischen Weltraumprogramms auf die ersten, amateurhaften Anfänge zurückverfolgen, als die Begeisterung für den bemannten Raumflug auch in anderen Teilen Europas und in den USA einsetzte.

Raumfahrtaktivitäten in anderen Ländern

Eine deutlich andere Einstellung zur Entwicklung von Raketen und zur Erforschung des Weltraums zeigte sich in Großbritannien. Dort gründete Philip Ellaby Cleator 1933 zwar die Britische Interplanetarische Gesellschaft (BIS). Doch nicht nur die Regierung widersetzte sich von Anfang an allen Bemühungen, experimentelle Raketenforschung zu betreiben, auch in der Öffentlichkeit fand Cleator keine Unterstützung.((Winter 1983, S. 97.))

Cleator traf sich mit Willy Ley 1934 in Berlin. Doch damals war der VfR schon fast am Ende und Ley konnte keine Zusammenarbeit mehr anbieten. Die BIS fand nie genug Geld, um selbst Experimente durchzuführen, und wurde überdies durch einschneidende gesetzliche Auflagen über die Verwendung von Schießpulver behindert, die noch aus dem 17. Jahrhundert stammten und teilweise heute noch gültig sind. Daher musste sich die Gesellschaft auf die Herausgabe ihres Journal beschränken.

Eine zweite britische Gruppe, die Interplanetarische Gesellschaft von Manchester, wurde 1937 von dem sechzehnjährigen Eric Burgess gegründet. Nach dem Krieg wurde Burgess einer der aktivsten Autoren, die in England über die Raumfahrt schrieben.

Eine gewisse Kuriosität unter den Gesellschaften für Raumfahrtfragen der 20er Jahre war die Österreichische Wissenschaftliche Gesellschaft für Höhenforschung, die 1926 von Franz von Hoefft und Baron Guido von Pirquet in Wien gegründet wurde. Max Valier war zuerst gegen diese Gründung, trat der Gesellschaft später aber selbst bei. Hermann Oberth hingegen wurde nie eingeladen, und es entstand der Eindruck, dass man ihn bewusst übergehen wollte. Eugen Sänger bot seine Mitarbeit an und traf sich sogar mit Pirquet, um Experimente zu diskutieren. Doch aus Geldmangel wurden die Experimente nie verwirklicht. Viele ihrer führenden Mitglieder traten dem VfR bei, als dieser ein Jahr später gegründet wurde.

In Breslau bildete sich am 18. August 1937 die Gesellschaft für Weltraumforschung e.V. (GfW), kurz nachdem Raketenexperimente in Deutschland von Staats wegen verboten worden waren. Das Gesetz untersagte nicht nur private Entwicklungsarbeiten an Raketen, selbst das Wort „Rakete“ durfte in Veröffentlichungen nicht mehr erscheinen. Gründer der Gesellschaft war Dr. Hans Kaiser, ein Astronom und Physiker, der nach dem Zerfall des VfR in zahlreichen Vorträgen 1934/35 versucht hatte, das Interesse an der Raumfahrt wachzuhalten. Ziel der GfW war es, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Sie richtete eine wissenschaftliche Bibliothek ein und brachte die Zeitschrift Weltraum heraus. Die Regierung duldete die Zeitschrift, und so bildeten sich bald auch in Berlin und Köln ähnliche Gruppen und traten mit der GfW in Verbindung. Als die meisten Mitglieder zum Militär einberufen wurden, musste die GfW 1940 vorübergehend ihre Tätigkeit einstellen, doch zahlreiche junge Leute traten weiterhin bei, so dass die Gesellschaft ein Jahr später wieder aktiv wurde.

Hans Kaiser gründete 1937 in Breslau die Gesellschaft für Weltraumforschung. Das bekannteste Mitglied war Krafft Ehricke, der den Verein während des Krieges leitete. Kaiser arbeitete später während des Kriegs wie auch Ehricke in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Bild: National Air and Space Museum, Andrew G. Haley Collection, Smithsonian Institution, 80–1270
Hans Kaiser gründete 1937 in Breslau die Gesellschaft für Weltraumforschung. Das bekannteste Mitglied war Krafft Ehricke, der den Verein während des Krieges leitete. Kaiser arbeitete später während des Kriegs wie auch Ehricke in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Bild: National Air and Space Museum, Andrew G. Haley Collection, Smithsonian Institution, 80–1270

Das bekannteste Mitglied der GfW war Krafft A. Ehricke, der später wie Kaiser nach Peenemünde ging. 1944 wurde Ehricke sogar Präsident der GfW und während der Kriegszeit schrieb er weiter für den Weltraum. Kaiser berichtet, dass die Zeitschrift 1943 aus Papiermangel ihr Erscheinen einstellen musste.((Kaiser 1949a, S. 50.))

Weltweit bildeten sich Aktivitäten für Raketenbau und Raumfahrt. 1932 gab zum Beispiel ein Chemiestudent der Universität von Buenos Aires in Argentinien eine Zeitschrift für Astronautik heraus. Ezio Matarazzo hatte zahlreiche technische Aufsätze aus dem Deutschen übersetzt und stand bis 1936 mit Herbert Schäfer vom VfR in Verbindung. In Buenos Aires erschien 1947 auch die erste ausländische Ausgabe von Willy Leys Klassiker Rockets, Missiles, and Space Travel, den er 1944 in den USA geschrieben hatte.

In Australien entstand 1936 eine Raketengesellschaft, und es gibt Hinweise, dass in den 30er Jahren sogar in Japan Raketenexperimente durchgeführt wurden.((Winter 1983, S. 107.))

In einem Rückblick auf die Aktivitäten der Amateur-Raketengesellschaften von Ende der 20er Jahre bis zum Krieg stellt Frank Winter fest: „Die Gesellschaften wandten alle modernen Mittel an, um Anhänger für ihre Arbeit und Ziele zu werben – öffentliche Podiumsdiskussionen, Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Wochenschauen, Ausstellungen und sogar das im Entstehen begriffene Fernsehen.“ Unabhängig vom Erfolg der einzelnen Gesellschaften erzeugten sie zusammen „ein allgemeines öffentliches Bewusstsein sowie eine ansteckende Begeisterung für die Möglichkeiten der Raumfahrt, wo zuvor nichts dergleichen bestanden hatte“.((Winter 1983, S. 115.))

Auch das Gründungsmitglied der amerikanischen Raketengesellschaft Edward Pendray bemerkte 1962: Die frühen Raketenexperimente „rüttelten einen großen Teil der Menschheit auf, den Weltraum zu erobern – und sorgten in der Öffentlichkeit für eine breite Unterstützung, ohne die ein so großes und kostspieliges Programm in einer demokratischen Gesellschaft nicht denkbar ist“.((Emme 1964, S. 27.))

Bedenkt man die weltweiten wirtschaftlichen und politischen Wirren in den 20er und 30er Jahren, ist es um so erstaunlicher, dass sich so viele kleine Gruppen von Privatleuten, insbesondere in Deutschland, zusammenfanden, die unbeirrt an der Idee der Raumfahrt festhielten. Ohne sie wären die theoretischen und experimentellen Grundlagen für die Entwicklungen während und nach dem Krieg nicht zustandegekommen.