Einleitung

Über die mehreren hundert deutschen und österreichischen Wissenschaftler, Ingenieure und Fachleute, die im Zuge von Operation Paperclip von der US-Regierung unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA gebracht worden sind, wurde schon viel geschrieben. Man bot ihnen kurzfristige Arbeitsverträge an, damit sie ihren amerikanischen Kollegen die Technik vermittelten, die in Deutschland, insbesondere in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, während des Krieges entwickelt worden waren. Nicht nur das Pentagon, sondern auch die amerikanische Industrie, die Universitäten und andere Organisationen hatten Interesse an dem Wissen und den Erfahrungen der Deutschen.

In diesem Buch erzählt Marsha Freeman die Geschichte der wohl bekanntesten Gruppe derer, die mit Operation Paperclip in die USA kamen – des Raketenteams um Wernher von Braun. Diese Gruppe wurde speziell von der US-Armee ausgewählt, um bei Zusammenbau, Überprüfung und Start von etwa 100 V-2-Raketen zu helfen, die aus Deutschland zum Versuchsgelände White Sands in Neumexiko verfrachtet worden waren. Letztlich sollte damit erreicht werden, Funktionsweise, Handhabung und Abschuss großer ballistischer Raketen zu demonstrieren. Die meisten Mitglieder der Gruppe wurden von amerikanischen Ingenieuren und Wissenschaftlern ausführlich befragt, um den Wissensstand der USA in bezug auf Planungskonzepte, Voraussetzungen und Umgang mit großen Flüssigkeitsraketen zu erhöhen.

Die ursprünglich auf ein halbes Jahr befristeten Verträge wurden zunächst mehrere Male verlängert, bis schließlich den Betreffenden der dauernde Aufenthalt und sogar die Staatsbürgerschaft der USA angeboten wurde. Einige Mitglieder der Gruppe sind damals in ihre Heimat nach Deutschland und Österreich zurückgekehrt. Einige wechselten in die Privatwirtschaft und haben auch dort beachtliche Beiträge zu Fragen der Aerodynamik, Steuerung, Lenkung und Antrieb ballistischer und ferngelenkter Geschosse geleistet.

Das vorliegende Buch beschreibt die Anfänge des Raketenwesens in Deutschland. Es belegt, dass es stets Ziel und Absicht aller Beteiligten war und geblieben ist, die Voraussetzungen für die Raumfahrt zu schaffen. Als frühe Raketenamateure hatten sie bald erkannt, dass Entwicklung und Bau großer Raumfahrzeuge gewaltige Versuchs- und Fertigungsanlagen erforderten, wozu Mittel in einem Umfang nötig waren, die sich Amateure unter keinen Umständen beschaffen konnten. Aus diesem Grund wandte sich Wernher von Braun an die deutsche Wehrmacht und begab sich als ziviler Angestellter in ihre Dienste. Er sah darin die einzige Möglichkeit, um Ausrüstung und Finanzierung für ein großzügiges Raketenentwicklungsprogramm zu gewährleisten.

Der sowjetische Sputnik löste in Amerika große Bestürzung aus. Die USA drohten von den Sowjets in der Raumfahrt abgehängt zu werden. Sehr bald verlangten Militär und Öffentlichkeit in den USA größere eigene Anstrengungen, und so kam es zum „Raketenwettlauf“. Das deutsche Raketenteam hat viel dazu beigetragen, dass die Amerikaner wieder den Anschluss an die sowjetische Raumfahrttechnik fanden. Die „gute alte“ Redstone-Rakete brachte dann am 31. Januar 1958 den ersten amerikanischen Satelliten in eine Umlaufbahn. Und kurz danach trug sie auch Alan Shepard und Gus Grissom als erste Amerikaner in den Weltraum.

Der Höhepunkt all dieser Anstrengungen war das kühne Abenteuer, drei Menschen zum Mond zu schicken und zwei von ihnen auf dem Erdtrabanten landen zu lassen. Diese Heldentat wird die größte technische und unternehmerische Leistung in diesem Jahrhundert bleiben. Im Grunde war auch das immer noch die Leistung des „Wernher-von-Braun-Raketenteams“, wenn es auch durch viele amerikanische Ingenieure, Zulieferer und Helfer unterstützt wurde. Die einzige Rakete, die die Saturn V übertraf, ist die sowjetische Rakete Energija. Doch sie wurde erst 25 Jahre später entwickelt und ist erst zweimal geflogen.

Als unmittelbar an diesen Entwicklungen Beteiligter seit den ersten Tagen in Peenemünde habe ich das stärkste Interesse, dass die Erforschung des Weltraums weitergeht. Ich halte noch immer Vorträge für junge Leute im Raumfahrt-Jugendlager und an der Raumfahrtakademie in Huntsville, Alabama. Ich verfolge aufmerksam alle Vorgänge in der Raumfahrt und bin sehr enttäuscht, dass Projekte wie der Bau einer Mondbasis und einer bemannten Expedition zum Mars aufgegeben wurden.

Ich bin verärgert über die negative Einstellung zur Raumerkundung und dass die Leistungen des „Raketenteams“ herabgemindert werden. Die heutigen Medien nehmen es leider mit den Tatsachen nicht so genau und erfinden ständig neue, verzerrte Geschichten. So wird Peenemünde oft als Hitlers „Waffenschmiede“ bezeichnet. Und ebensooft wird behauptet, die Wehrmacht habe KZ-Häftlinge zur Arbeit herangezogen. Marsha Freemans Buch versucht diese Entstellungen zu korrigieren.

Erst als sich Hitlers Kriegsglück neigte, räumte er der Entwicklung der V-2 höchste Dringlichkeit ein. Dabei traute er der Wehrmacht nicht und übertrug die Aufgabe dem Reichsführer SS Heinrich Himmler. Er war für die Massenfertigung der V-2 im unterirdischen Mittelwerk verantwortlich, und er setzte hierfür KZ-Häftlinge ein.

Es ist leider so, dass die Entwicklung der ersten Raumfahrtsysteme mit Rüstungsgeldern und unter Kontrolle des Militärs durchgeführt wurden. So war es in Deutschland, ebenso in den USA und in anderen Ländern. Wegen der sprichwörtlichen Kurzsichtigkeit der Politiker war dies aber der historisch beste Weg, um an Mittel für die Entwicklung von Raumfahrzeugen zu gelangen, mit denen man in den Weltraum vorstoßen konnte.

Marsha Freeman hat die verfügbare Raumfahrtliteratur ausführlich durchforscht und viele Pesronen, die in dem Buch zu Wort kommen, persönlich befragt. Ihr Buch will falsche Informationen richtigstellen und die Tatsachen über die Entwicklung der Raketen, Lenkgeschosse und Raumfahrzeuge unvoreingenommen darlegen.

Die Visionen von Hermann Oberth, Wernher von Braun, Krafft Ehricke haben uns dahin gebracht, wo wir heute stehen. Ich hoffe, dass wir in der Erinnerung an sie das Raumfahrtprogramm wieder zum Leben erwecken und alle ihre Träume einlösen werden. Neue ehrgeizige Vorhaben werden unserer Jugend wieder sinnvolle Lebensziele vor Augen führen und damit die Notwendigkeit von Erziehung und Bildung rechtfertigen. Letztlich werden davon die Menschen überall auf der Erde profitieren. Es ist an der Zeit, dass wir den „Extraterrestrischen Imperativ“ verwirklichen. Ad Astra!

Konrad K. Dannenberg

Konrad Dannenberg gehörte in Peenemünde und später in Amerika zu Wernher von Brauns Raketenteam. Zuletzt arbeitete er am Marshall Space Flight Center der NASA.