Das Raumfahrtzeitalter beginnt!

Als die deutschen Raumfahrtpioniere in Amerika ankamen, lagen schon viele Schwierigkeiten hinter ihnen. Die meisten Raketenexperimente fanden inmitten der Wirtschaftskrise statt, sie hatten das Naziregime und den Weltkrieg überstanden. Dennoch standen ihnen in den ersten Jahren in Amerika noch größere Enttäuschungen und Verzögerungen bevor.

Die USA hatten gesiegt und waren kriegsmüde. Die Militärhaushalte wurden zusammengestrichen und die Streitkräfte demobilisiert. Ihre ersten Jahre mussten die Leute um Wernher von Braun damit verbringen, alte, aus Deutschland stammende V-2-Teile zusammenzusetzen und immer wieder die gleichen Raketen abzuschießen, und das obendrein in einer trostlosen Wüstengegend, die mit den vertrauten Landschaften in Deutschland nichts gemein hatte.

Ein ziviles Raumfahrtprogramm gab es nicht. Niemand schien in den USA daran zu denken, mit den außerordentlichen Fortschritten der Raketentechnologie, die der Krieg hervorgebracht hatte, jetzt endlich den Griff nach den Sternen zu wagen. Aber die Männer um von Braun gaben die Hoffnung nicht auf.

Im Oktober 1957 sollte sich alles ändern, als die Russen die Welt mit dem Start des ersten Sputnik überraschten. Damit war das Zeitalter der Raumfahrt offiziell eröffnet und die Deutschen standen für seine Herausforderungen bereit.

Die ersten deutschen Spezialisten waren im Oktober 1945 nach White Sands, dem Testgelände der US-Armee in Neumexiko, gekommen. White Sands war ausgewählt worden, weil es weit ab in der Wüste lag und von Bergen umgeben war, wo sich Beobachtungsstationen errichten ließen, um die Raketenstarts mit Radar zu verfolgen (Abbildung 7.1). Ungefähr 35 Mitglieder der Peenemünder Gruppe wurden unmittelbar in White Sands untergebracht. Der Rest lebte in Fort Bliss in Texas, ungefähr 80 Kilometer vom Testgelände entfernt.

Abbildung 7.1: Testgelände White Sands in Neumexiko. Das Gelände (in rosa) wurde von der US-Armee ausgesucht, weil es rings von Bergen umgeben ist und weitab von Ballungszentren liegt. Hier wurden im Rahmen von Projekt Hermes die erbeuteten V-2 abgefeuert und getestet. Nur wenige der Deutschen waren hier stationiert, die meisten waren in Fort Bliss bei El Paso in Texas untergebracht worden.
Abbildung 7.1: Testgelände White Sands in Neumexiko. Das Gelände (in rosa) wurde von der US-Armee ausgesucht, weil es rings von Bergen umgeben ist und weitab von Ballungszentren liegt. Hier wurden im Rahmen von Projekt Hermes die erbeuteten V-2 abgefeuert und getestet. Nur wenige der Deutschen waren hier stationiert, die meisten waren in Fort Bliss bei El Paso in Texas untergebracht worden.

Um sich aufzumuntern, schrieb damals „Magnus von Braun eine Art deutsches ,Weihnachtsmärchen‘… worin es um ein Ereignis im fernen Jahr 2000 ging – Der erste Raumflug eines Menschen… Eine merkwürdige Gestalt betrachtete das Treiben von Menschen und Maschinen rings um eine riesige Rakete in der Wüste. Der alte Mann stand ständig im Weg, weil er sich von den Jahren gebeugt auf einen Stock stützen musste. Es war der 88jährige Wernher von Braun, der zusah, wie sein Lebenstraum Wirklichkeit wurde.“((Ordway und Sharpe 1979, S. 346.))

Die Deutschen in White Sands sollten an dem am 15. November 1945 eingeleiteten Projekt Hermes arbeiten, um die erbeuteten V-2-Raketen startklar zu machen. General Toftoy, Chef der Raketenabteilung des Armeewaffenamtes, beschrieb allerdings die Lage der Raumfahrtpioniere so: „[In Fort Bliss] herrschte Unzufriedenheit… Sie [die Deutschen] waren von ihren Familien getrennt, die [in der Heimat] dringend Nahrungsmittel und Vitamine brauchten.“ Nach einigem Hin und Her mit der Bürokratie setzte General Toftoy durch, dass die Deutschen ihren Angehörigen in Deutschland Pakete schicken durften.

„Aber… sie wollten ihre Familien bei sich haben. So machte ich mich noch einmal nach Deutschland auf, um zu sehen, was sich machen ließ… Ich bekam geeignete Wohnquartiere für die Familien sowie Lebensmittel, Benzin und medizinische Versorgung. Schließlich konnte ich sie herüberbringen und die Familien wieder zusammenführen.“

Die deutschen Raumfahrtpioniere hatten Glück. Wie zuvor schon General Dornberger in Deutschland und später US-General Medaris schätzte General Toftoy nicht nur ihre schöpferischen Fähigkeiten und Erfahrungen in der Raketentechnik, sondern er sorgte auch für das persönliche Wohlergehen der Forscher. Auch wenn es noch kein ziviles Raumfahrtprogramm gab, die militärischen Vorgesetzten förderten den schöpferischen Geist der Deutschen und schauten auch schon einmal weg, wenn sie sich insgeheim mit nicht genehmigten „Zukunftsprojekten“ beschäftigten. Sie nahmen das Raketenteam auch vor den Bürokraten in Schutz, die die Fähigkeiten der Deutschen nicht zu schätzen wussten, ihren Aktivitäten misstrauten und – was das schlimmste war – überhaupt keine Zukunftsvision hatten.

Die Raumfahrtpioniere aus Deutschland konnten sich glücklich schätzen, dass sie in den USA General Holger Toftoy unterstellt waren: Hier mit einem Raketenmodell in Händen im Gespräch mit Hermann Oberth; rechts ist Dr. Ernst Stuhlinger, links James J. Fagan. Bild: National Air and Space Museum, Smithsonian Institution, 83-2834
Die Raumfahrtpioniere aus Deutschland konnten sich glücklich schätzen, dass sie in den USA General Holger Toftoy unterstellt waren: Hier mit einem Raketenmodell in Händen im Gespräch mit Hermann Oberth; rechts ist Dr. Ernst Stuhlinger, links James J. Fagan. Bild: National Air and Space Museum, Smithsonian Institution, 83-2834

Am 10. Mai 1946 fand mit der V-2 eine Demonstrationsvorführung für die Presse statt. Dabei konnte auch Willy Ley endlich Vorbereitungen und Start der Rakete selbst miterleben, wovon er bisher nur aus den Zeitungen wusste. Seine Eindrücke von diesem V-2-Start hat er in späteren Büchern ausführlich beschrieben.

Im Jahr 1949 begann die Firma North American Aviation damit, eine verbesserte Version des V-2-Triebwerkes für die Redstone-Raketen der Armee herzustellen. Walter Riedel und Gerhard Heller „verbrachten einige Monate bei North American Aviation in Kalifornien, um amerikanische Nachwuchsingenieure in die Grundlagen von Planung und Herstellung von Raketentriebwerken einzuführen“.((Ordway und Sharpe 1979, S. 351.))

Später arbeiteten Dieter Huzel und andere bei North American Aviation, um beim „Transfer“ der V-2-Antriebstechnik in die US-Raumfahrtindustrie mitzuhelfen.((Winter, 1990, S. 76.)) Huzel übersetzte die von Dr. Walter Thiel in Peenemünde angefertigten technischen Studien über Antriebssysteme, die er mitgebracht hatte, ins Englische.

Diese frühen Arbeiten an Raketentriebwerken bei North American Aviation spielten „eine wenig beachtete, aber sehr bedeutsame Rolle für die Entwicklung der nächsten Generation großer Flüssigkeitsraketentriebwerke in Amerika“.((Winter 1990, S. 53.)) Ein Jahrzehnt später stellte North American Aviation die Antriebssysteme für die Saturn V her, welche amerikanische Astronauten auf den Mond brachten. 1955 wurde die Raketenabteilung von North American Aviation in „Rocketdyne“ umbenannt. Heute gehört Rocketdyne zu Rockwell, wo die Triebwerke des US Space Shuttle hergestellt werden.

Besonders fruchtbar war die Arbeit der Deutschen in Neumexiko auf einem neuen Bereich der Forschung: der Raumfahrtwissenschaft. Wie in Kapitel 4 dargestellt, war amerikanischen Wissenschaftlern die Arbeit des deutschen Physikers Erich Regener, der Instrumente zur Erforschung der höheren Atmosphäre entwickelte und dabei mit Peenemünde zusammenarbeitete, schon während des Krieges bekannt. Im September und Oktober 1945 besuchte Gerard P. Kuiper, ein Astronom an der Yerkes-Sternwarte in Williams Bay in Wisconsin, Regener mehrere Male in Deutschland. Nach seiner Rückkehr in die USA schrieb er einen Bericht über Regeners Arbeiten und ließ ihn in Kreisen amerikanischer Astronomen zirkulieren.

Der Historiker David DeVorkin berichtet darüber weiter:

„Im Dezember 1945 gelangten mindestens zwei von Regeners Instrumenten [zum Testgelände] nach Aberdeen und wurden bei einem Treffen im Naval Research Laboratory am 16. Januar 1946 künftigen amerikanischen Raketenwissenschaftlern vorgestellt… Die bloße Tatsache von Regeners Versuchen rief dort sofort Begeisterung hervor und regte weiterführende Vorschläge an, obwohl es in den USA, noch ehe man Details der Regenerschen Instrumente kannte, eigene Pläne dafür gab.“((DeVorkin 1992, S. 53.))

Regener war zwar nie in den USA, doch seine „wissenschaftlichen Vorhaben wurden hier am Naval Research Laboratory und am Institut für angewandte Physik, von der Armee in Aberdeen, von den Fernmeldern… und von zahlreichen Zuarbeitern für das Militär an den Universitäten nachgemacht“.((Ebenda.))

Projekt Hermes war als fünfjähriges Erprobungsprogramm der V-2-Raketen ausgelegt und beschäftigte sich mit Nachbau und Start der Raketen, um den Transfer dieser Technologie an die US-Industrie zu ermöglichen. Von Anfang an unterstützte General Toftoy aber auch die weitergehende wissenschaftliche Forschung, anstatt nur die begrenzte Anzahl von Beuteraketen so schnell wie möglich abzuschießen. Er richtete das Programm so ein, dass die Fragestellungen der Weltraumforschung berücksichtigt wurden, auch wenn das oft Starts verzögerte, weil die Instrumente noch nicht fertig waren.

Dr. James Van Allen leitete die V-2-Raketenabteilung, die später in „Forschungsabteilung für Raketen und Satelliten“ umbenannt wurde und die V-2-Experimente koordinierte. Er wurde von General Toftoy tatkräftig unterstützt. Van Allen sagte einmal, General Toftoy sei derjenige, der in Amerika Atmosphärenforschung durchgesetzt habe. Allerdings sei es ziemlich ungewöhnlich, dass solch ein Vorstoß von einem Militär gekommen sei.((Thomas 1961b, S. 223.))

DeVorkin stellt beim Vergleich der Höhenforschung in Amerika und Deutschland fest: „Die amerikanischen wie auch die deutschen Forschungsprogramme fanden vollständig im militärischen Rahmen statt, wurden aber in beiden Staaten von zivilen Wissenschaftlern angeführt… angeregt durch von Braun in Peenemünde und durch Toftoy im Pentagon.“((DeVorkin 1992, S. 345.))

Die Liste der in White Sands mit Hilfe von V-2-Raketen durchgeführten Höhenexperimente war beeindruckend.

„Insgesamt waren es 223 verschiedene Versuche, 38 zur Messung der kosmischen Strahlung, 32 zur Beobachtung an der Sonne, 32 für Messungen in der Ionosphäre, 25 zur Messung von deren Druckprofil und 19 zur Erforschung ihrer Zusammensetzung. Bei 18 Flügen wurden Fotoaufnahmen der Erdoberfläche gemacht.“((Stuhlinger und Ordway 1992, S. 165.)) Mit Instrumenten ausgestattete V-2-Raketen lieferten neue Erkenntnisse über die obere Atmosphäre und den Grenzbereich zum Weltraum. Sie ermöglichten die Entdeckung der solaren Röntgenstrahlung, Messungen des ultravioletten Spektrums der Sonne, ein Verständnis von Art und Ursprung verschiedener Schichten der Ionosphäre und exakte Messungen der Zusammensetzung, Temperatur, Dichte und des Drucks der Atmosphäre.“((Ordway und Liebermann 1992, S. 119.))

In White Sands fanden auch die ersten weltraumbiologischen Versuche statt. Am 17. Dezember 1946 nahm eine V-2 einen Behälter mit Pilzsporen mit, um die Auswirkungen der kosmischen Strahlung auf lebendes Gewebe zu untersuchen. Auch Fruchtfliegen, Getreidesamen und eine Maus wurden der kosmischen Strahlung ausgesetzt. Im Jahr 1949 flogen vier Rhesusaffen, alle mit Namen Albert, in speziell dafür entwickelten Druckkapseln mit. „Sie waren Vorläufer der bemannten Kabinen, die mehr als zwei Jahrzehnte später benutzt wurden.“((Winter 1990, S. 54.))

Als das Projekt Hermes im Juni 1951 auslief, waren 67 V-2-Raketen gebaut, getestet und gestartet worden. Der Abschlussbericht stellt fest:

„Die Gruppe war zweifellos mit großer Umsicht ausgesucht worden, denn zu ihr gehörten Vertreter nahezu aller Phasen der deutschen V-2-Entwicldung. Unter ihnen waren Wissenschaftler, Ingenieure, Techniker und Fertigungsleute… Sie gaben ihre Erfahrungen so schnell, wie es die Umstände erlaubten, an die Belegschaft von General Electric weiter. Die Zusammenarbeit war ausgezeichnet.“((General Electric Company 1952.))

Bald begannen die Raumfahrtaktivitäten den provisorischen Einrichtungen, in denen sie bisher stattfanden, zu entwachsen. Kurt Debus schreibt dazu:

„Die Geschwindigkeit, mit der sich Fort Bliss entwickelte, ließ schon bald die begrenzten Anlagen der Chemie-, Material- und Elektroniklabors aus den Nähten platzen. Da verrückten eines Nachts im Schutz der Dunkelheit einige unbekannte Individuen den Zaundraht um eine Viertelmeile und zäunten ausreichend zusätzliche Fläche ein.“((Debus 1973, S. 19.))

General Toftoy war sich allerdings darüber im klaren, dass mehr erforderlich war, als nur den Zaun vorzuverlegen. 1948 drängte er darauf, dass die Raketenforschung im Rahmen der Armee durch neue Forschungseinrichtungen ergänzt würde. Dabei hatte er nicht nur Raketengeschosse im Sinn. In einem Interview mit der Birmingham Post vom 8. Mai 1948 äusserte er sich folgendermaßen:

„Noch diese Generation könnte es erleben, dass große Raketenschiffe mit Passagieren den Mond umkreisen und sicher zur Erde zurückkehren. Wenn die Arbeiten an einem solchen Projekt auf der Stelle beginnen könnten und dafür im Interesse der reinen Wissenschaft ausreichend Geld zur Verfügung stünde, könnte dies von heute lebenden Personen ausgeführt und beobachtet werden.“((Ordway und Shape 1979, S. 361.))

Nachdem er 1960 aus dem aktiven Militärdienst ausgeschieden war, sagte Toftoy in einem Interview: „In Anbetracht aller Einsatzmöglichkeiten von Satelliten sehe ich in der Raumstation den größten Nutzen und die größte Herausforderung.“((Thomas 1961, S. 235.)) Die Raumstation sei die nötige Transferstufe zur Erforschung des Weltalls.

Auch wenn General Toftoy sich der Deutschen intensiv annahm, waren die Jahre in White Sands für sie ernüchternd, besonders für Werner von Braun. Der Abschuss alter V-2-Raketen brachte wenig Fortschritt für die Raketenentwicklung. Und wo blieb das Raumfahrtprogramm, das uns zu den Sternen bringen könnte?

In seinen persönlichen Erinnerungen schreibt William F. Winterstein, einer der militärischen Vorgesetzten der Wissenschaftler in Fort Bliss, über von Braun:

„Es zeigte sich, dass er nahe daran war, die Organisation zu verlassen und eine Anstellung in der Privatindustrie zu suchen. Es sah damals nicht so aus, als wollte sich die US-Regierung in absehbarer Zeit und in nennenswertem Umfang auf den Gebieten Raketentechnik und Raumfahrt engagieren. Das Hauptargument, das ihn zurückhielt, war die Erkenntnis, dass zu jener Zeit kein Privatunternehmen die nötigen Mittel gehabt hätte, etwas wie die Raumfahrt zu finanzieren. Ich riet ihm daher auszuharren. Eines Tages würde der Kongress nachgeben und die Mittel für die Forschung bewilligen. Ich erklärte ihm damals auch, dass er später einmal als der größte Raketenwissenschaftler der Vereinigten Staaten, vielleicht der ganzen Welt, bekannt werden würde. Obwohl die unmittelbaren Aussichten trostlos waren, beschloss Wernher, die schweren Zeiten zu überstehen und aufbessere Tage zu hoffen.“((Stuhlinger und Ordway 1992, S. 159.))

Am 15. April 1950 begann die Verlegung von 120 Mitgliedern des deutschen Teams nach Huntsville, dem neuen Standort des Raketenprogramms der Armee. Huntsville war damals so etwas wie das „Hintertupfingen“ der USA. Die meisten Leute arbeiteten dort als Baumwollpflücker für 1 US-Dollar pro 100 Pfund abgelieferter Baumwolle oder für 28 Cent die Stunde in den nahegelegenen Baumwollspinnereien. Schon bald, nachdem sie sich in Huntsville und Umgebung, die schon eher an das heimische Deutschland erinnerte, niedergelassen hatten, gründeten die Wissenschaftler die Astronomische Gesellschaft von Rocket City. Sie errichteten eine Sternwarte mit einem 53-Zentimeter-Spiegelteleskop, das damals eines der besten in den Südstaaten der USA war.((Ordway und Shape 1979, S. 368.))

Die Raumfahrtpioniere aus Deutschland gründeten in den USA die „Rocket City Astronomical Association“ und errichteten eines der damals besten Teleskope in den amerikanischen Südstaaten. Das Bild aus dem Jahr 1956 zeigt Ernst Stuhlinger und Wernher von Braun am Teleskop des heute nach von Braun benannten Observatoriums im Monte Sano Park. Bild: NASA, Marshall Space Flight Center
Die Raumfahrtpioniere aus Deutschland gründeten in den USA die „Rocket City Astronomical Association“ und errichteten eines der damals besten Teleskope in den amerikanischen Südstaaten. Das Bild aus dem Jahr 1956 zeigt Ernst Stuhlinger und Wernher von Braun am Teleskop des heute nach von Braun benannten Observatoriums im Monte Sano Park. Bild: NASA, Marshall Space Flight Center

Außerdem stellte die kleine Kammermusikvereinigung, die es in Huntsville bereits gab, „mit Erstaunen fest, dass viele der Wissenschaftler und Ingenieure, die die V-2 entwickelt hatten, auch sehr talentierte Musiker waren.“ Sie halfen mit, das Huntsviller Stadtorchester zu gründen, das sein erstes Konzert am 13. Dezember 1955 gab.((Ordway und Sharpe 1979, S. 369.))

Aber nicht alle deutschen Weltraumpioniere wollten in Huntsville bleiben. Krafft Ehricke folgte Walter Dornberger, der zur Firma Bell Aircraft in Buffalo im Bundesstaat New York gegangen war, und wechselte später zu General Dynamics in Kalifornien, wo er zusammen mit anderen früheren Peenemündern an der Atlas-Rakete arbeitete. Dr. Adolf Thiel wurde Projektleiter für die Thor-Rakete und später Vizepräsident der Firma TRW. Dr. Martin Schilling ging zur Firma Raytheon, und Magnus von Braun übernahm einen Posten bei Chrysler.((Ordway und Sharpe 1979, S. 373.))

Die Armee gründete unter Major James Hamill das Zentrum für Lenkgeschosse in Redstone. Wernher von Braun wurde sein technischer Leiter und Arthur Rudolph Projektleiter der Redstone-Rakete.

Während des Krieges hatte ein Teil der Militäreinrichtungen in Redstone zur Herstellung und Lagerung von Chemikalien gedient. Nach Kriegsende wurde die Anlage stillgelegt, die Gebäude vermietet oder verkauft und mehr als 70 Hektar Gelände an Farmer verpachtet. Am 28. Oktober 1948 bestimmte der Armeeminister das frühere Depot zum Zentrum für die Raketenforschung und -entwicklung und verlegte die „Unterabteilung Raketen“ der Artillerie-Forschungsabteilung von Fort Bliss ins Redstone-Arsenal.

Am 25. Juni 1950 brach der Koreakrieg aus. Im Juli beauftragte die Feldzeugmeisterei der Armee das Redstone-Arsenal mit höchster Dringlichkeit, die Möglichkeit einer Raketenwaffe mit ungefähr 800 Kilometer Reichweite zu prüfen.((Von Braun 1964, S. 108.)) Das führte zur Entwicklung der Redstone-Rakete, einer einstufigen Trägerrakete mit etwa 700 Kilometer Reichweite. Im Februar 1951 erhöhte die Armee die Nutzlastanforderung auf 1,5 Tonnen, um einen Atomsprengkopf befördern zu können. Dadurch verringerte sich die Reichweite wegen der begrenzten Schubkraft auf nur 80 bis 300 Kilometer.((Debus 1973, S. 21.))

Die Redstone wurde 1958 als mobile Rakete zur Verstärkung der NATO-Streitkräfte in Europa eingeführt und 1960 durch die Jupiter-Rakete ersetzt; die Jupiter wiederum wurde 1963 durch die Feststoffrakete Pershing abgelöst. An der Entwicklung aller dieser Raketen waren Deutsche maßgeblich beteiligt.((Von Braun 1964, S. 110.))

Im Zusammenhang mit dem Koreakrieg wurde in den fünfziger Jahren die Redstone-Rakete entwickelt. Hier ein Abschuss der Mittelstreckenrakete bei Cape Canaveral, Florida.
Im Zusammenhang mit dem Koreakrieg wurde in den fünfziger Jahren die Redstone-Rakete entwickelt. Hier ein Abschuss der Mittelstreckenrakete bei Cape Canaveral, Florida.

Die Mittelstreckenrakete Jupiter (mit rund 2000 Kilometer Reichweite) war Ende 1955 in Auftrag gegeben worden. Zu ihrer Entwicklung waren neue Anlagen erforderlich, was zur Gründung der Armeebehörde für ballistische Raketen (Army Ballistic Missile Agency, ABMA) führte. Allerdings entstand damit auch weiterer Bedarf an talentierten deutschen Ingenieuren, die in einer zweiten „Importwelle“ in die USA kamen. Heinz Hermann Koelle berichtete in einem Interview darüber, wie das vor sich ging: „Die Jahre 1945 und 1946 verbrachte ich als Kriegsgefangener in den Vereinigten Staaten. Dann kehrte ich nach Deutschland zurück und nahm mein Studium an der Technischen Universität Stuttgart auf.“ 1948 rief Koelle die „Gesellschaft für Weltraumforschung“ wieder ins Leben, die Krafft Ehricke und Hans Kaiser 1935 in Berlin gegründet hatten. Durch diese Aktivitäten „kam ich mit all den Peenemündern in Kontakt, … einige in den Staaten, wie von Braun“. Er erzählt weiter:

„Noch als Student begegnete ich 1952 dem amerikanischen Professor Pierce, Chefberater der amerikanischen Luftwaffe in Wiesbaden. Er vermittelte mir einen Forschungsauftrag der Firma Wright Field… Zwischen 1952 und 1954 arbeitete ich an Projekten der Air Force zur Berechnung der Flugbahnen von Langstreckenraketen. 1954 schrieb mir von Braun einen Brief, in dem es sinngemäß hieß: ,Ich weiß, dass Sie an den Dingen, die wir recht bald unternehmen werden, interessiert sind. Kommen Sie doch her und schließen Sie sich uns an.‘ So geriet ich an diese Paperclip-Sache und war einer der ersten in jenem Schwung von Leuten, die Mitte der 50er Jahre herüberkamen, als die Vereinigten Staaten beschlossen, Langstreckenraketen zu bauen. Es fehlten Ingenieure für die Atlas-, Titan- und die ballistischen Mittelstreckenraketen.

Ich habe dann andere wie zum Beispiel Harry Ruppe in die USA nachgeholt… Er studierte bei mir und wurde später mein Stellvertreter. Damals, 1955, wurde ich Leiter der Vorplanungsabteilung… Im Januar 1958 [als Explorer I gestartet wurde] gehörte ich zur Startmannschaft und war zusammen mit Dr. Stuhlinger unter anderem für Nutzlast-, Flug- und Lebensdauerfrage verantwortlich.“

Auch Harry Ruppe erinnerte sich kürzlich:

„Nach dem Krieg studierte ich in Deutschland theoretische Physik. Das Besatzungsrecht erlaubte natürlich keine Raketenentwicklung und dergleichen. Und selbst wenn es gestattet gewesen wäre, hätte es niemand gelehrt, denn es fehlten die Lehrer.

Später verließ ich Leipzig, das in der sowjetischen Besatzungszone lag… Ich ging nach Berlin und setzte dort mein Studium fort. Ich stand damals schon mit einigen Leuten – Amateuren, die an Raumfahrt interessiert waren – in Verbindung. Der wichtigste von ihnen war Heinz Hermann Koelle. Er war damals dort Professor.

Koelle leitete in Stuttgart einen Raumfahrtclub, dem ich beitrat und deren Berliner Sektion ich bald leitete… Wernher von Braun traf ich zum ersten Mal auf einem der internationalen Raumfahrtkongresse, ich glaube es war in London… Ich hatte keinen Zweifel, dass diese Peenemünder Gruppe in den Vereinigten Staaten an der Raumfahrt arbeitete. Das stimmte zwar nicht, aber davon ging ich aus.

Ich hielt auf der Konferenz einen Vortrag und kam mit Dr. von Braun ins Gespräch. Ich erklärte, dass ich gerne seinem Team beitreten wollte. Auch Hermann Koelle war dabei hilfreich.“

1957 erhielt Harry Ruppe tatsächlich eine Einladung, nach Huntsville zu kommen. Aber, so erzählte Ruppe,

„als ich nach Huntsville kam, wartete auf mich zu meiner großen Enttäuschung ein Vertrag, … wonach ich als Spezialist zur Entwicklung kabelgeführter Anti-Panzer-Raketen eingestellt wurde.

Dazu hatte ich natürlich überhaupt keine Lust… Ich suchte also Dr. von Braun mit diesem Vertrag in der Hand auf und sagte ihm: ,Hier liegt ein großes Missverständnis vor; das ist überhaupt nicht, was ich will. Ich möchte an der Raumfahrt arbeiten.‘ Wernher grinste mich an und sagte: ,Nun, mein Herr, ich muss etwas in den Vertrag schreiben, dem die Armee zustimmt, und Sie sind doch der Experte für kabelgeführte Anti-Panzer-Raketen?‘ Sofort war klar, was er wollte und was ich wollte, und in der Tat muss ich sagen, ich habe im Redstone-Arsenal keine kabelgeführte Anti-Panzer-Raketen jemals nur gesehen!“

Die ABMA nahm ihre Arbeit auf und am 1. Februar 1956 kam Brigadegeneral John Medaris nach Huntsville, um das Kommando zu übernehmen. Die Zahl der Beschäftigten im Redstone-Arsenal stieg von 1600 auf 5000. Die erste Mehrstufenrakete, die Jupiter C, wurde am 20. September 1956 gestartet und erreichte eine Höhe von rund 1100 Kilometer. Von Braun war sich sicher, dass die Jupiter C mit einer vierten Zusatzstufe einen kleinen Satelliten in die Erdumlaufbahn bringen könnte.

General Medaris hat sich in der Armee besonders nachdrücklich für das Raumfahrtprogramm eingesetzt. Das Bild zeigt ihn zusammen mit Wernher von Braun in Huntsville.
General Medaris hat sich in der Armee besonders nachdrücklich für das Raumfahrtprogramm eingesetzt. Das Bild zeigt ihn zusammen mit Wernher von Braun in Huntsville.

Um möglichst rasche Fortschritte zu erzielen, führte General Medaris beim Jupiterprogramm die Methode der „parallelen Entwicklung“ ein. An drei unterschiedlichen Aufgaben wurde gleichzeitig gearbeitet: Eine Rakete geht von der fortgeschrittenen Entwicklung in die Fertigungsphase und den Feldeinsatz über; eine zweite „nutzt den Schwung der ersten als Ausgangspunkt zur technischen Weiterentwicklung“, während in einem dritten Projekt völlig neue Komponenten entwickelt und Vorstudien für neuartige Waffensysteme entstehen.((Medaris 1956, S. 58.))

Die industrielle Fertigung wurde bereits vorbereitet, während in Huntsville noch die Entwicklung und Erprobung des Raketensystems lief. Medaris erklärt das so: „Die Hauptvertragspartner und Subunternehmer wurden von Anfang an in das Entwicklungsprogramm eingebunden, um den Gang der Entwicklung verfolgen und mit der Teileproduktion beginnen zu können, sobald eine gewisse Stabilisierung erreicht war.“((Medaris 1956, S. 60.))

Am 14. Oktober 1958 erklärte General Medaris vor 350 Elektronikexperten, die Armee werde trotz anfänglicher Schwierigkeiten „den Mond erreichen, Menschen in den Weltraum bringen und Weltraumstationen aufbauen“.((Chicago Tribune, 1958.)) Er vertrat nachdrücklich die Überzeugung, es bedürfe dafür keines eigenen, zivilen Weltraumprogramms. Inmitten des heftigen Tauziehens zwischen dem Verteidigungsministerium und der zivilen Raumfahrtbehörde NASA (National Aeronautics and Space Administration) über das Schicksal des militärischen Weltraumprogramms und von Brauns Expertengruppe sagte General Medaris in einem Fernsehinterview am 29. November 1959, er wisse, wie auch die Raketeningenieure, dass die NASA noch auf Jahre hinaus auf Militärraketen als Träger angewiesen sein werde. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine vollständige Trennung von ziviler und militärischer Arbeit auf dem Gebiet der Raketen- und Weltraumforschung uns die besten Resultate liefern wird.“

Medaris‘ Hauptsorge jenseits seines persönlichen Ehrgeizes, der Armee das Raketenteam zu erhalten, war, ein arbeitsfähiges Team zusammenzuhalten und die Forscher nicht auf verschiedene Behörden aufzuteilen. Auf die Frage, ob die Von-Braun-Gruppe zur NASA überwechseln würde, antwortete Medaris, es hätte bisher in der NASA keine umfassende Aufgabe gegeben, die es rechtfertige, die Gruppe als ganze zu übernehmen. Heute sei die Lage jedoch anders. Die NASA sei mit dem Saturnprogramm betraut worden und das bedeute die Übernahme der Wissenschaftler.

Wie standen die Wissenschaftler aus Deutschland dazu, an die NASA weitergereicht zu werden? Offensichtlich bestanden in dieser Frage Meinungsverschiedenheiten. Harry Ruppe erinnert sich:

„Es gab über die Frage, ob wir bei der Armee bleiben oder zur NASA überwechseln sollten, einige grundsätzliche Diskussionen in der Gruppe der ehemaligen Peenemünder. Wernher war mit fliegenden Fahnen für den Wechsel zur NASA. Er sah darin seinen Traum, ausschließlich für die Weltraumfahrt arbeiten zu können, erfüllt. Aber er konnte nicht alle davon überzeugen. Einige der Älteren glaubten aufgrund ihrer Erfahrungen, bei der Armee mehr Sicherheit zu finden. Sie fürchteten, die NASA könne die öffentliche Unterstützung verlieren, wenn sich die Stimmung ändere.“

Einige, darunter auch Arthur Rudolph, inzwischen Projektleiter des neuen Pershing-Systems, waren für die Militärforschung zu wichtig, um sofort der NASA überstellt zu werden. Als Anerkennung seiner Arbeit für die Raketenabteilung der Armee verlieh ihm das Rollins College 1959 die Ehrendoktorwürde. Außerdem erhielt er die „Exceptional Civilian Service Award“, die höchste Auszeichnung, welche die Armee an Zivilisten vergibt.((Franklin 1987, S. 118 f.))

Harry Ruppe wechselte zusammen mit von Braun und fast der gesamten Gruppe zur NASA. 1966 bekam er den Ruf, die Leitung des neugegründeten Instituts für Raumfahrt an der Technischen Universität München zu übernehmen. Er fragte von Braun um Rat und stellte fest, dass „der schon vor mir davon wusste. Seine Worte entschieden die Angelegenheit: ,Wenn die Heimat Dich ruft, dann gehst Du.‘“ In Deutschland wurden damals die ersten Schritte unternommen, sich der Handvoll raumfahrenden Nationen anzuschließen.

Hermann Koelle erging es ähnlich. Er erhielt 1965 einen Ruf an die Technische Universität Berlin, er sollte den Lehrstuhl Eugen Sängers übernehmen, den dieser bis zu seinem Tod innegehabt hatte. „Ausprobieren kann ich es ja“, dachte er bei sich, „denn ich kann ja jederzeit zurückkommen“. Bald wurde ihm jedoch bewusst, dass das amerikanische Weltraumprogramm nach Abschluss der Apolloflüge praktisch auslaufen werde. „Es wurden nämlich keine neuen Nutzlasten für die Saturn-Trägerraketen entwickelt, und es dauert ungefähr sieben Jahre, um neue Nutzlasten dieser Größenordnung zu entwerfen und herzustellen.“ Dr. Koelle kehrte also nach Berlin zurück und musste beobachten, dass „sich die Dinge in den Staaten nach dem Apolloprogramm nicht sehr gut entwickelten. So blieb ich hier.“

Vor seinem Wechsel in den Ruhestand sparte General Medaris nicht mit Kritik an denen, die seiner Meinung nach für den erbärmlichen Zustand des Weltraumprogramms der USA verantwortlich waren. Er kritisierte am 2. Februar 1960 vor dem Weltraumausschuss des Repräsentantenhauses US-Präsident Eisenhowers Äusserung, die Vereinigten Staaten stünden mit niemandem im Wettlauf um den Weltraum, und zivile und militärische Programme sollten getrennt werden.

Sein ganzes Leben lang blieb General Medaris seiner Überzeugung treu, das US-Militär, speziell die Armee sollte das US-Raumfahrtprogramm in der Hand behalten, und war entschieden gegen die Errichtung einer zivilen Weltraumbehörde. Er glaubte, getrennte Programme führten zu Doppelarbeit, und war überzeugt, die Armee verfügte bereits über die erforderlichen Einrichtungen.

Unter General Medaris wurden auf dem Versuchsgelände Redstone nicht nur ballistische Mittelstreckenraketen zur Verteidigung Europas entwickelt. Man arbeitete auch an bodengestützten Abfangraketen wie der Nike-Zeus, die die USA vor einem Nuklearangriff schützen sollten. Medaris sah in dieser Entwicklung einen Schlüssel für positive Veränderungen in der amerikanischen Militärpolitik. In einem Artikel der Space World heißt es unter der Überschrift „Ein General redet Klartext“: „General Medaris betrachtet das Konzept der massiven Vergeltung (MAD), das unser militärisches Denken vollständig beherrscht, sehr kritisch.“ Diese Doktrin sei „bloßes, auf Zerstörung ausgerichtetes Rachedenken“.((Rublowsky 1961, S. 57.)) Und Medaris fährt fort:

„Wenn wir in unserer Vernarrtheit die ,massive Vergeltung‘ für den besten Schutz vor einem Angriff halten,… haben wir die wertvollsten Trümpfe der menschlichen Zivilisation ins Spiel gebracht, doch wenn wir unsere Karten auf den Tisch legen müssen, kann es keine Gewinner mehr geben, sondern nur Verlierer.“

Im September 1961 stellte Medaris die Behauptung auf, mit dem Nike-Zeus-System könnten 80 Prozent der anfliegenden Raketen abgefangen werden, solange der Angreifer nicht sehr viel mehr Geschosse losschickt, als Verteidigungsraketen zur Verfügung stehen.

Bei einer Anhörung im Frühjahr 1961 äusserte Präsident Kennedys Verteidigungsminister Robert McNamara „verbreitete Zweifel, ob das Nike-Zeus-System überhaupt eingesetzt werden sollte“. Dem widersprach nach Darstellung der New York Times Medaris mit dem Hinweis, „allein die Entwicklung einer hinreichend wirksamen Verteidigung gegen Nuklearraketen auf einer Seite würde das Kräftegleichgewicht sofort drastisch verändern“.

Entwickelten die Russen ein solches Abwehrsystem zuerst, wüssten sie ganz genau, „dass sie einen derartigen Vorteil nur relativ kurze Zeit hätten… Ihnen böte sich eine kurzfristige Gelegenheit, ihr Ziel, die Weltherrschaft, zu verwirklichen. Wir müssen uns mit der Tatsache abfinden, dass die Technologie des Kommunismus genausogut wie unsere eigene zu einem derartigen Abwehrsystem führen könnte.“

Medaris kam Jahre später in einem Beitrag für die Konferenz zum Gedenken an Krafft A. Ehricke im Juni 1985 auf dieses Thema zurück. „Unter den gegebenen Umständen“, erklärte er, „wären wir verrückt, wenn wir unser Augenmerk nicht auf eine strategische Verteidigung richten, die einem nuklearen Holocaust so wenig Erfolg verspräche, dass er gar nicht stattfände“.((Fusion 1985, S. 23.))

Erst als Präsident Ronald Reagan am 23. März 1983 die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI) ankündigte, wurde die Doktrin der massiven Vergeltung in den USA revidiert. Obwohl sich General Medaris damals schon über 20 Jahre im Ruhestand befand, suchte der Leiter des neuen SDI-Programms, General James Abrahamson, seinen Rat.

Am 16. Mai 1990 veranstaltete der National Space Club in Washington eine „Ehrensitzung für die Leistungen der US-Armee im Weltraum“. Auf ihr wurde General Medaris, Generalmajor Holger Toftoy, Dr. William Pickering, Dr. James Van Allen und dem Team von Brauns für besondere Leistungen in der Raumfahrt die eigens dafür geschaffene Generalmajor-John-B.-Medaris-Auszeichnung verliehen. Des weiteren wurde Brigadegeneral a. D. Ivey O. Drewry geehrt, der das erste ballistische Raketenverteidigungssystem der Welt, das „Sentinel and Safeguard System“ der US-Armee, befehligt hatte. Unter seiner Leitung wurde im Juli 1962 zum ersten Mal eine Interkontinentalrakete von einer Nike-Zeus abgefangen.

Sputnik und Explorer

Schon 1954 verfügten die USA praktisch über alle technischen Vorbedingungen, um einen Satelliten ins All zu schicken. Aber Präsident Eisenhower fehlte der Sinn für die Bedeutung einer solchen Initiative, so dass den Sowjets die Führung in der Raumfahrt überlassen wurde.

Drei Jahre vor dem Sputnikstart sprachen nur wenige Techniker über Satelliten. Viel mehr Aufmerksamkeit schenkte man der Entwicklung einer bemannten Raumstation. Aber auf dem Dritten Symposium der Amerikanischen Raketengesellschaft am 4. Mai 1954 hatte Dr. Harry Wexler vom Wetterdienst der Vereinigten Staaten über die unverzichtbaren Aufgaben unbemannter Raumkörper gesprochen. Er sagte:

„Es steht außer Frage, dass ein Satellit in geeigneter Höhe und Position über der Erde als Wetterstation für kurzfristige Vorhersagen und als Datenlieferant für solare und geophysikalische Grundlagenforschung von unschätzbarem Wert wäre. Zu dieser Aufgabe gehörten auch Beobachtungen langfristiger Veränderungen des Wetters und klimatischer Schwankungen.“((Ley 1957a, S. 330.))

Im Frühjahr 1954 hatte der Raumfahrtausschuss der Amerikanischen Raketengesellschaft (ARS), die damals von Krafft Ehricke geleitet wurde, den Plan eines Wettersatelliten erarbeitet und in Fachkreisen verbreitet. Am 23. Juni meldete sich Fred Durant, ehemaliger Präsident der ARS und Präsident der Internationalen Astronautischen Föderation (IAF), bei Wernher von Braun und lud ihn zu einem Treffen nach Washington ein, um über Vorschläge zum Bau von Satelliten zu sprechen. Zwei Tage später trafen sich von Braun und Durant im Naval Research Office. Anwesend waren außerdem der Physiker S. Fred Singer von der Universität Maryland, der Harvard-Astronom Fred Whipple, Fregattenkommandeur George W. Hoover von der US-Marine und ARS-Mitglied, David Young von der Firma Aerojet General sowie Vertreter des Naval Research Office.

Willy Ley berichtet:

„Ich sollte erwähnen, dass es von 1950 an zum Zeitvertreib eines jeden Raumfahrtinteressierten gehörte, auf dem Papier existierende Raketen miteinander zu verbinden und auszurechnen, ob sich damit Geschwindigkeiten eines Satellitenträgers erreichen ließen… Wenn man eine Redstone-Rakete als erste Stufe zugrundelegte, erläuterte von Braun, und darauf mehrere Bündel von Loki-Raketen montierte, sollte man genug zusätzliche Geschwindigkeit erzielen, um die oberste Loki-Rakete in eine Erdumlaufbahn zu bringen.“((Ley 1957a, S. 332.))

Die Loki war die Nachfolgerin der Luftabwehrrakete Taifun, die in Peenemünde entwickelt worden war. Von Braun glaubte, dass sich je nach Anzahl der Loki-Raketen, die man in der oberen Stufe einsetzte, ein etwa drei Kilogramm schwerer Satellit in eine Umlaufbahn befördern ließe.((Ordway und Sharpe 1979, S. 375.))

Am 3. August besuchten Angehörige der Marine General Toftoy und von Braun im Redstone-Arsenal, um das verfügbare Material in Augenschein zu nehmen. Fregattenkommandeur Hoover wurde zum Projektoffizier ernannt. Als vorläufiger Starttermin wurde der Sommer 1957 festgelegt. Am 15. September verfasste von Braun zusammen mit Vertretern des Jet Propulsion Laboratory in Kalifornien und der Marine einen vertraulichen Bericht mit dem Titel „Kleinstmögliches Trägersystem für einen Satelliten auf Grundlage von Komponenten der Raketenentwicklung des Army Ordnance Corps“. Das Vorhaben lief unter dem Namen „Project Orbiter“.

Die Kosten wurden auf 100.000 US-Dollar veranschlagt, „eine wahrhaft bescheidene Summe für einen Mann, der Millionen von Mark für die Entwicklung der V-2 ausgegeben hatte und der später mehrere Milliarden US-Dollar einsetzen würde, um die Saturn V zu bauen.“ Von Braun hatte damals prophetisch festgestellt: „Einen Satelliten von Menschenhand zu erschaffen, wie bescheiden er auch sein möge,… wäre eine wissenschaftliche Leistung von außerordentlicher Bedeutung.“ Er warnte davor, dass die Russen das gleiche mit Hilfe der Tausenden deutschen Ingenieure in ihrer Gewalt leisten könnten, und fuhr fort: „Da sich dieses Projekt mit den heutigen Raketen- und Lenkwaffenerfahrungen binnen weniger Jahre verwirklichen ließe, ist es nur logisch anzunehmen, dass andere Länder dies auch können. Es wäre für das Ansehen der USA ein schwerer Schlag, wenn wir nicht die ersten wären.“((Ordway und Sharpe 1979, S. 376.))

Am 20. Januar 1955 wurde dem für Forschung und Entwicklung zuständigen stellvertretenden Verteidigungsminister ein entsprechender Vorschlag unterbreitet, der auf von Brauns Geheimbericht basierte. Noch im gleichen Monat kündigte Radio Moskau an, die Sowjetunion werde während des Internationalen Geophysikalischen Jahres 1957 einen Satelliten starten. Die CIA bestätigte im Laufe des Frühlings die sowjetische Ankündigung.((Ordway und Sharpe 1979, S. 377.))

Am 15. April 1955 kam es zu einer kurzen Unterbrechung im hektischen Terminkalender der Raumfahrtpioniere aus Deutschland, als 40 von ihnen in den Räumen der Highschool von Huntsville die US-Staatsbürgerschaft erhielten. Auf dem Bild unterzeichnen Martin Schilling, Ernst Stuhlinger und Wernher von Braun ihre Einbürgerungspapiere. Bild: NASA, Marshall Space Flight Center
Am 15. April 1955 kam es zu einer kurzen Unterbrechung im hektischen Terminkalender der Raumfahrtpioniere aus Deutschland, als 40 von ihnen in den Räumen der Highschool von Huntsville die US-Staatsbürgerschaft erhielten. Auf dem Bild unterzeichnen Martin Schilling, Ernst Stuhlinger und Wernher von Braun ihre Einbürgerungspapiere. Bild: NASA, Marshall Space Flight Center

Mit Begeisterung reagierten die deutschen Raketenbauer auf die Möglichkeit, den ersten Erdsatelliten der Welt zu starten. Am 15. April 1955 wurde die tägliche Arbeit für ein besonderes Ereignis unterbrochen. Vierzig aus Deutschland stammende Weltraumpioniere versammelten sich im Auditorium der High School von Huntsville, wo ihnen zwei Bundesrichter den Eid auf die amerikanische Verfassung abnahmen und ihnen die US-Staatsbürgerschaft verliehen. „Ungefähr 1200 Mitbürger wohnten dem Ereignis bei, und Bürgermeister R. B. ,Spec‘ Searcy erklärte das Datum offiziell zum ,Tag des Neubürgers‘.“((Ordway und Sharpe 1979, S. 376 f.))

Angeregt durch eine Walt-Disney-Fernsehsendung (siehe Kapitel 8) ließ Präsident Eisenhower am 29. Juli 1955 durch seinen Pressesprecher erklären, dass auch die USA während des Geophysikalischen Jahres einen Satelliten in eine Umlaufbahn schießen wollten. Das Programm sollte allerdings den Namen „Vanguard“ und nicht „Orbiter“ erhalten und es sollte von der Marine, nicht von der Armee durchgeführt werden. Außerdem sollte nach Eisenhowers Vorstellungen das Programm nicht geheim und auch nicht militärisch sein. Es gab sogar einige Leute in Washington, die unbedingt wollten, dass der erste US-Satellit von „Amerikanern“ und nicht von „Deutschen“ gestartet würde. Dennoch hatten letztlich die „Deutschen“ die Nase vorn, wie die Geschichte zeigen sollte.

Dr. Stuhlinger schreibt in seinen Erinnerungen:

„Diese Arbeiten wurden unterbrochen, nachdem die Army im Herbst 1955 die Direktive erhalten hatte, sämtliche satellitenbezogenen Untersuchungen und alle damit verbundenen For-schungs-, Entwicklungs- und Konstruktionsarbeiten zu beenden. Doch die damit befassten Kräfte setzten ihre Arbeiten in ihrer Freizeit fort, und als schließlich der Army die Tore für ein Satellitenprojekt geöffnet wurden, waren die Entwürfe fertig. General Toftoy und nach ihm General Medaris förderten diese Anstrengungen, indem sie sich immer großzügig abwandten, wenn sie ein Labor besuchten und auf einem der Zeichenbretter eine Skizze entdeckten, die verdächtig nach einem kleinen Satelliten aussah…“((Stuhlinger und Ordway 1992, S. 227.))

Im Rückblick auf diese Zeit sagte General Toftoy 1960 der St. Petersburg Times in Florida:

„Irgend jemand… hatte beschlossen, dass es sich nicht lohne, zuerst einen [amerikanischen] Sputnik in den Weltraum zu bringen. Als ich 1954 das Kommando im Redstone-Arsenal übernahm, fragte ich in Washington um Erlaubnis, einen Satelliten hochzuschießen… Wir waren recht ungehalten über die Antwort, die wir erhielten: ,Tut uns leid, es gibt für ein derartiges Projekt keinen Bedarf.‘“

Trotz aller Enttäuschung über die Ablehnung von Projekt Orbiter

„signalisierten von Braun und seine Mitarbeiter der Navy wiederholt ihre Bereitschaft, mit dem Vanguard-Team zusammenzuarbeiten. Sie wären sogar dazu bereit, einen Vanguard-Satelliten mit einer Redstone-Rakete unter der Bezeichnung ,Project Vanguard‘ und unter der Schirmherrschaft des Vanguard-Teams zu starten. Aber die verantwortlichen Navyoffiziere reagierten stets mit einem entschlossenen Nein.“((Ebenda.))

Am 20. September 1956 wurde die Jupiter-Rakete Nr. 27 abgeschossen, sie erreichte 960 Kilometer Höhe und eine Reichweite von rund 5000 Kilometern. Einige Jahre später äusserte sich General Medaris dazu:

„Anschließend wussten wir, wir hatten ein Trägersystem für Satelliten. Wir brauchten die Rakete Nr. 29 nicht mehr und legten sie in der Hoffnung auf Lager, sie eines Tages für den Start eines Satelliten benutzen zu können. Das war genau 12 Monate und 2 Wochen vor dem Start von Sputnik I.“((Rublowsky 1961, S. 56.))

Im Januar 1958 war es dann tatsächlich die Rakete Nr. 29 der ABMA (umbenannt in Juno I), die Explorer I in eine Erdumlaufbahn brachte.

Von Braun schrieb darüber 1964:

„Wir in Huntsville konnten die Satellitenidee nicht einfach über Bord werfen und wir haben auch unsere dafür vorgesehenen Geräte nicht weggeworfen… Das Projekt Vanguard war zwar das offizielle Satellitenprogramm der USA, doch wussten wir in Huntsville, dass unsere Raketentechnologie völlig satellitentauglich und schnell einsatzbereit war.“((Von Braun 1964, S. 114.))

Jahrelang trugen nun Armee und Air Force ihre Rivalitäten aus, wem die Verantwortung für welches Raketensystem zufallen sollte. Jede Waffengattung beanspruchte für sich die zentrale Rolle auf dem neuen Gebiet der Raumfahrt. Die Konkurrenz zwischen Armee und Luftwaffe war aber wohl die hitzigste.

Harry Ruppe sah die Auseinandersetzungen so:

„Es wurde schon immer darüber diskutiert, ob eine Langstreckenrakete eher ein Geschütz (Armee) oder ein Flugzeug (Luftwaffe) sei – oder, wie wir manchmal voller Respekt sagten, eine ,Windwaffe‘. Die Peenemündegruppe hatte dabei schon während des Krieges bei Auseinandersetzungen mit der Luftwaffe einige Schrammen abbekommen. Daraus hatte sich aus den Peenemünder Tagen eine gewisse Feindschaft gegenüber der Luftwaffe gebildet. Nun hatte man den Eindruck, dasselbe würde sich wiederholen.“

Während der Arbeit am „Projekt Horizont“, so Ruppe weiter, „erhob General Medaris einen Einwand, den ich für völlig unwichtig hielt. Wir sprachen immer von ,missile‘ [Lenkflugkörper], er aber wollte ,rocket‘ [Rakete]. Erst später verstand ich, worauf er eigentlich hinaus wollte. Von ,missile‘ sprach die Luftwaffe, und er wollte nicht einmal ihre Ausdrücke benutzen.“

Ein Jahr später, am 26. November 1956, erlitt das Raketenprogramm der Armee einen weiteren Rückschlag. Als Reaktion auf die immer heftiger werdende Rivalität zwischen den Waffengattungen erließ Verteidigungsminister Charles Wilson eine „Direktive über Zuständigkeiten und Aufgaben“. Sie beschränkte die Armee auf Raketen mit Reichweiten bis zu 300 Kilometer. Die neue Jupiterrakete wurde der Air Force übergeben.

Sofort nach dieser Ankündigung reisten General Medaris und von Braun nach Washington, um die Erlaubnis zum Start eines Satelliten zu bekommen, jedoch ohne Erfolg. Dazu sagte Medaris später nicht ohne bitteren Unterton: „Vanguard erwies sich als ein sehr teures Spielzeug. Ohne Ziel über das Internationale Geophysikalische Jahr hinaus hatte sie nur geringe Wachstumsmöglichkeiten. Ihre Kosten beliefen sich schließlich auf über 110 Millionen US-Dollar, und fünf von sechs Starts schlugen fehl.“((Rublowsky 1961, S. 56.))

Beim dritten Teststart am 8. August 1957 trug die Jupiterrakete ein verkleinertes Modell der Kegelspitze einer Interkontinentalrakete. Man wollte erproben, ob das Material den Belastungen des Wiedereintritts in die Atmosphäre standhalten würde. „Dabei wartete eine kleine Überraschung auf General Medaris. Wir hatten in der Kegelspitze einen Brief untergebracht und übergaben ihn später dem Kommandeur der ABMA als erste, über Mittelstreckenreichweite beförderte Raketenpost“, berichtete Kurt Debus.((Debus 1973, S. 36.))

In vielen Hinweisen hatten die Russen erkennen lassen, dass sie 1957 einen Satellitenstart versuchen würden. Kaum eine Woche, bevor der russische Sputnik durch seinen regelmäßigen Piepton aus dem All das Raumzeitalter eröffnete,

„appellierte Stuhlinger dringend an General Medaris: ,Ich bin fest davon überzeugt, dass es bald einen russischen Satelliten in einer Umlaufbahn geben wird. Herr General, könnten Sie sich nicht noch einmal an den Verteidigungsminister wenden und um Erlaubnis für unser Projekt bitten? Der Schock für unser Land wäre gewaltig, wenn sie zuerst im Weltraum wären!‘ ,Werden Sie nicht nervös‘, antwortete Medaris, ,Sie wissen selbst am besten, wie schwierig es ist, einen Satelliten zu bauen und zu starten. Die Russen werden dazu nie in der Lage sein! Durch alle meine verschiedenen Nachrichtenkanäle habe ich nicht den geringsten Hinweis auf einen bevorstehenden Satellitenstart erhalten. Sobald ich etwas höre, werde ich handeln. Wenn wir etwas über ihre Aktivitäten erfahren, werden wir noch immer reichlich Zeit zum Handeln haben. Gehen Sie in Ihr Labor zurück und entspannen Sie sich!‘

Am 1. Oktober gab Radio Moskau die Übertragungsfrequenzen des angekündigten Satelliten bekannt, damit jeder seine Signale empfangen konnte. Und weniger als eine Woche nach Stuhlingers Unterredung mit Medaris, am 4. Oktober 1957, verkündete Sowjetrussland stolz, dass Sputnik I im Orbit war. Jedermann, der im Besitz eines kleinen Funkempfängers war, konnte alle 96 Minuten seine leisen, aber beharrlichen Pieptöne hören. Und in klaren Nächten sah man den kleinen Stern sogar rasch den Himmel durchqueren.

Von Braun fragte Stuhlinger: ,Hat der General seither mit dir gesprochen? Ich denke, er schuldet dir eine Abbitte!‘ ,Ja‘, war die Antwort. Alles, was er sagte, war: ,Diese verdammten Bastarde!‘“((Stuhlinger und Ordway 1992, S. 228.))

Es war einer der glücklichsten Umstände in der Geschichte der Raketenentwicklung, dass am Tage des Sputnikstarts der neue Verteidigungsminister Neil McElroy die ABMA in Huntsville besuchte. Man saß gerade beim Essen, als gemeldet wurde, der Sputnik sei in eine Erdumlaufbahn geschossen worden. Von Braun erklärte spontan: „Heute hat die Menschheit ihren ersten Schritt auf dem Weg zum Mars getan“, und zu McElroy gewandt sagte er: „Wenn Sie nach Washington zurückkommen und dort die Hölle los ist, dann können Sie denen sagen, wir haben hier das Gerät, um jederzeit einen Satelliten in eine Umlaufbahn zu bringen.“((Ordway und Sharpe 1979, S. 382.))

Von Braun meinte, in 60 Tagen einen Satelliten starten zu können. Um ganz sicher zu gehen, sprach General Medaris lieber von 90 Tagen. Schon am 8. November bekam General Medaris von McElroy die Genehmigung, zwei Jupiter C für den Satellitenstart umzubauen und den Startversuch für März des kommenden Jahres anzusetzen.((Debus 1973, S. 43.)) Dann explodierte am 6. Dezember vor den Augen der amerikanischen Öffentlichkeit und der Welt die Vanguard-Rakete der Navy bei einem Startversuch auf der Rampe.

Das brachte für von Braun und sein Team natürlich eine neue Situation, und sie nutzten den Umstand aus, dass das Land jetzt auf die Armee angewiesen war, um Amerikas Stolz und Ansehen gegenüber den Sowjets wiederherzustellen. „Wir wussten, dass niemand über diese Probleme so lange und gründlich nachgedacht hatte wie Wernher von Braun und einige seiner Leute“, erklärte General Medaris später. „Also setzten wir einige der besten von ihnen in einen verschlossenen Raum, um ein nationales Weltraumprogramm für die nächsten 12 bis 15 Jahre zu entwickeln“, welches dem sicherlich erfolgreichen Satellitenstart der Armee folgen sollte.((Medaris 1960, S. 186.))

Mitte Dezember, während die Startvorbereitungen für Explorer liefen, verbreitete die ABMA im Verteidigungsministerium und in Wissenschaftlerkreisen eine Studie mit dem Titel „Vorschlag für ein integriertes nationales Programm zur Entwicklung von Raketen und Raumfahrzeugen“. Im Mittelpunkt stand die Entwicklung einer Trägerrakete mit 680.000 Kilogramm Schub. Damit hätte 1960 eine unbemannte, weiche Mondlandung möglich sein sollen, könnte 1962 ein mit zwei Personen besetzter Satellit eine Erdumlaufbahn erreichen, im selben Jahr eine bemannte Mondumrundung erfolgen, 1965 eine Raumstation mit 20 Mann Besatzung unterhalten werden, 1967 eine dreiköpfige Mondexpedition unternommen und Anfang 1971 eine fünfzigköpfige Mondexpedition zur Errichtung einer dauerhaften Mondstation durchgeführt werden. Die Gesamtkosten für den Zeitraum von 14 Jahren wurden mit 21 Milliarden US-Dollar angegeben.((Medaris 1960 S. 187 f.))

Aus den Schwierigkeiten bei den Startvorbereitungen für Explorer I, die General Medaris eingehend beschreibt, lassen sich heute noch Lehren ziehen. Was den General am meisten sorgte, war die Publizität des Starts. „Aus zwei Jahren persönlicher Erfahrungen wusste ich, dass sich die Erfolgsaussichten eines jeden wichtigen Starts umgekehrt proportional zur Anzahl der anwesenden VIPs verhielten“, sagte Medaris. Auf Kurt Debus und die Startmannschaft könnte übermäßiger Druck ausgeübt werden, denn „es gab eine nur allzu menschliche Tendenz, sich in marginalen Zweifelsfällen zum Weitermachen zu entscheiden und das Risiko in Kauf zu nehmen, um die Besucher nicht zu enttäuschen“.((Freeman 1989b, S. 19.))

General Medaris war aus Prinzip bei wichtigen Raketenstarts immer selbst zugegen, um persönlich die Verantwortung für einen Aufschub zu übernehmen, wenn er den Eindruck hatte, dass auf der Mannschaft ein zu großer Druck lastete. Das sollte für einen kompetenten Befehlshaber die Regel sein, meinte der General. In einem Interview mit der Autorin erklärte Medaris am 16. Juli 1989 weiter:

„Man kann es gar nicht glauben, dass am Morgen des Challenger-Unglücks [im Januar 1986] niemand am Startplatz war, der den Befehl zum Abbruch hätte geben können… Bei uns gab es nie einen Start, bei dem nicht entweder Wernher von Braun, Kurt Debus oder ich selbst zugegen waren, und jeder von uns dreien konnte den Abbruch, wann immer er wollte, beschließen und sagen: ,Es ist genug. Diesmal nicht.‘

,Ist es jemals dazu gekommen?‘ fragte sie den General. ,Natürlich!‘, antwortete er. ,Gewöhnlich saß ich mit meinem Kopfhörer im Kontrollgebäude und konnte mich in alle Gespräche an der Rampe einschalten… Mehr als einmal habe ich einen Halt oder Aufschub angeordnet, einfach weil ich in den Stimmen der Männer die Anspannung heraushören konnte. Sie wurden müde und fingen an, Fehler zu machen. Ich sagte dann: ,Zwei Stunden Unterbrechung. Kommt runter da und macht eine Pause!‘“((Ebenda.))

Während General Medaris zum Start von Explorer I am 31. Januar 1958 nach Cape Canaveral reiste, fuhr Wernher von Braun nach Washington, um zu einer Pressekonferenz in der Akademie der Wissenschaften bereitzustehen. Als nach dem gelungenen Start „unsere Gruppe den Raum betrat, erhoben sich die Journalisten von den Plätzen, jubelten und applaudierten… Was die Reaktion der Nation anging,… erlebten wir die Umkehr des Schocks, den der Sputnik ausgelöst hatte“, erinnerte sich Kurt Debus Jahre später. „Die ABMA hatte ihr Versprechen von vor drei Jahren eingelöst. Für die Ingenieure aus Peenemünde war es die langerwartete Erfüllung eines Traums.“((Debus 1973, S. 54.))

Während des allgemeinen Durcheinanders, das in den Vereinigten Staaten nach dem misslungenen Vanguard-Start im Dezember 1957 einsetzte (man sprach verschiedentlich vom „Flopnik“ oder „Kaputnik“), ergriff der Weltraumausschuss im Repräsentantenhaus in der Diskussion um das künftige Raumfahrtprogramm der USA die Initiative, da das Weiße Haus unter Eisenhower untätig blieb.

Der Ausschussvorsitzende John McCormack, ein Demokrat aus Massachusetts, verschickte 1958 einen Fragebogen an über fünfzig Experten der Astronautik und Raketenentwicklung, um deren Überlegungen zu künftigen Möglichkeiten in der Weltraumfahrt in Erfahrung zu bringen.

Ihre Antworten gibt der Bericht des Ausschusses in Die nächsten zehn Jahre in der Weltraumfahrt, 1959–1969 wieder. Im Begleitschreiben des Berichtes heißt es:

„Alle Pläne, Programme und Entwürfe, die diese Fachleute vorschlagen, werden wenig bedeuten, wenn die Vereinigten Staaten dieser Herausforderung nicht mit der Mobilisierung ihrer Privatindustrie, ihrer öffentlichen Einrichtungen, ihrer Ressourcen, Arbeitskraft, Material und ihres Geldes begegnen, wie es die nationalen Raumfahrtanstrengungen erfordern. Es gibt Hinweise, dass die Sowjetunion genau das vorhat.“

Dieser Einstellung folgte auch US-Präsident John F. Kennedy, als er die USA auf das Apollo-Mondlandeunternehmen vorbereitete.

Das Projekt Horizont

Am 10. Januar 1958, drei Wochen vor dem Start von Explorer I, fand in Huntsville ein Treffen statt, auf dem das „Project Man High“ erörtert wurde. Es führte zu dem Vorschlag eines bemannten, suborbitalen Raumflugs. Am 16. Mai leitete der Armeeminister diesen Vorschlag an die Advanced Research Projects Agency (ARPA, Agentur für fortgeschrittene Forschungsvorhaben) im Verteidigungsministerium weiter. Drei Tage später erläuterte von Braun persönlich den Vorschlag. Man entschied aber, dieses Projekt nicht zu finanzieren.((Ordway und Sharpe 1979, S. 383 f.)) Glücklicherweise war bereits ein anderes Weltraumprogramm in Arbeit.

Am 2. April 1958 erklärte US-Präsident Eisenhower in einer Botschaft an den Bundeskongress: „Ich empfehle, von den Vereinigten Staaten geförderte, wissenschaftliche Aktivitäten auf dem Gebiet von Luft- und Raumfahrt von einer zivilen Behörde ausführen zu lassen und davon nur solche Projekte auszunehmen, die vorrangig mit militärischen Erfordernissen zusammenhängen.“((Project Horizon, Volume III, S. 62.)) Eisenhower leitete daraufhin dem US-Kongress eine Gesetzesinitiative zur Schaffung einer zivilen Weltraumbehörde zu. Sie wurde am 29. Juli beschlossen und durch seine Unterschrift rechtskräftig. Die Nationale Behörde für Luft- und Raumfahrt (NASA) nahm am 1. Oktober ihre Arbeit auf. Innerhalb weniger Wochen wurde dann das Mercury-Projekt, der erste Raumflug eines Menschen, gebilligt.

Auch wenn das Weltraumprogramm der Armee bald durch das der neuen Zivilbehörde abgelöst wurde, die Erfahrungen der Spezialisten aus Deutschland waren nach wie vor unverzichtbar. Auf Bitten der NASA hielten von Braun, Heinz Hermann Koelle und Ernst Stuhlinger im Namen der ABMA am 15. Dezember vor der NASA Vorträge über „Gegenwärtige und zukünftige Raumfahrzeuge und ihre Möglichkeiten“.

Wernher von Braun betonte darin, wie wichtig es sei, „die Elemente der verschiedenen Weltraumprogramme – wie jenes für bemannte Raumflüge oder die Fähigkeit zu Kopplungsmanövern im Orbit, die Nutzlastbeförderung usw. – in das eine Programm einfließen zu lassen, einen Menschen auf den Mond zu bringen“.((ABMA 1958, S. 1.)) Er verwies darauf, dass die Raumfahrt auch kommerzielle Möglichkeiten biete, wie zum Beispiel Kommunikationssatelliten, globalen Postdienst, orbitale Transportsysteme, und „vom Jahr 2000 an könnte man mit dem Bergbau auf dem Mond oder etwas ähnlichem beginnen“.((ABMA 1958, S. 5.))

Von Braun stellte die Serie neuer Trägerraketen vor, die für das nächste Jahrzehnt im All gebraucht würden. Er konzentrierte sich auf die damals „Juno V“ genannte Rakete mit 680.000 Kilogramm Schubkraft. Aus Sicherheitsgründen würden dabei mehrere Motoren wie bei Flugzeugen eingesetzt werden: „Denn bei großen Fahrzeugen wie diesen macht es einen großen Unterschied, ob die Mission scheitert und die Mannschaft umkommt.“((ABMA 1958, S. 66.)) Sowohl die Saturn V mit menschlicher Besatzung als auch das Space Shuttle wurden diesem Prinzip entsprechend ausgelegt.

Koelle war der Auffassung, die Vereinigten Staaten könnten bis zum November 1964 die erste Raumstation in eine Umlaufbahn über dem Äquator bringen. Und drei Jahre darauf, sagte er, könnte der erste Mensch auf dem Mond stehen. „Und wir hoffen immer noch, dass wir dort nicht auf eine russische Zollabfertigung treffen.“((ABMA 1958, S. 35.))

Die Vertreter der ABMA-Gruppe ließen ihre Bereitschaft erkennen, einen NASA-Auftrag zur Untersuchung der verschiedenen Mondlandeoptionen in Angriff zu nehmen. Es müssten Vorarbeiten zur Entwicklung einer Mondlandefähre, für Kopplungsmanöver zwischen Raumfahrzeugen, für das Auftanken im All und ähnliches geleistet werden.((ABMA 1958, S. 122.))

Stuhlinger sprach den entscheidenden Punkt an, als er feststellte:

„Das mit der ersten bemannten Mondexpedition verfolgte Ziel sollte sehr sorgfältig untersucht werden. Jemand sollte sich jetzt schon darüber Gedanken machen, was wir auf dem Mond tun werden, wenn wir einmal dort sind… Wir glauben, dass sich das dargestellte und diskutierte Raketenprogramm nur rechtfertigen lässt, wenn wir ihm ein entsprechendes Programm von Aufträgen und Zielen zur Seite stellen… Das Hauptziel … sollte der Mensch im Weltraum sein; und zwar nicht nur der Mensch, der im Weltraum überleben kann, sondern der dort aktiv Wissenschaft betreibt.“((ABMA 1958, S. 129.))

Auch wenn die Zukunft des deutschen Teams eindeutig bei der neuen zivilen Raumfahrtbehörde lag, wollte General Medaris die beste Gruppe von Raketen- und Weltraumspezialisten der Welt nicht kampflos ziehen lassen. Verbissen wurde er bei den höchsten Stellen in Washington vorstellig, um der Armee die deutschen Fachleute zu erhalten. Am 20. März 1959 erhielt er vom Leiter der Forschungsund Entwicklungsabteilung der Armee den Auftrag, eine Studie über einen bemannten Außenposten der Armee auf dem Mond zu erstellen. General Medaris sah nach Angaben von Harry Ruppe die Sachlage für die Armee so: „Auf dem Mond gibt es kein Wasser und keine Luft, aber Land. Das ist die Chance der Armee!“

In einer Blitzaktion wurde die Studie in weniger als drei Monaten erstellt und am 8. Juni 1958 abgeliefert. Sie hieß „Projekt Horizont“. Auf Seite eins der Studie (vier von fünf Bänden sind inzwischen öffentlich zugänglich) heißt es:

„Militärische, politische und wissenschaftliche Überlegungen legen nahe, dass es für die Vereinigten Staaten zwingend geboten ist, zum frühestmöglichen Zeitpunkt einen Außenposten auf dem Mond zu errichten.“((Project Horizon 1959, Bd. 1, S. 1.))

Der Bericht warnt:

„Verzögerungen beim Beginn, denen später ein Eilprogramm folgt – wie sich leicht für den Fall voraussagen lässt, dass die Sowjets nennenswerte Fortschritte bei der Errichtung eines solchen Außenpostens auf dem Mond machen –, würden nicht nur den Vorsprung und eine ordentliche Zeitplanung verspielen, sondern auch unvermeidbar höhere Kosten und geringere Zuverlässigkeit mit sich bringen.“((Project Horizon 1959, Bd. 1, S. 3.))

„Projekt Horizont“ war ein hervorragendes Programm, um in den sechziger Jahren die Raumfahrtmöglichkeiten der USA voranzubringen. Es sah die Weiterentwicklung von Trägerraketen der Saturn-Familie vor, deren obere Stufe mit Flüssigwasserstoff betrieben werden sollte, um die Nutzlastkapazität zu erhöhen. Es forderte die industrielle Massenproduktion von Raketen und anderem Gerät, woraus ein ganz neuer Industriezweig entstehen würde. Ziel war es, im Frühjahr 1965 die erste Mondlandung durchzuführen, im Juli dort einen neunköpfigen Bautrupp abzusetzen und Ende 1966 den ersten Außenposten für eine zwölfköpfige Besatzung errichtet zu haben (siehe Abbildung 7.3). Man schätzte die Gesamtkosten des Programms mit einer Laufzeit von achteinhalb Jahren auf 6014 Milliarden US-Dollar, was im Jahr 1958 weniger als 2 Prozent des Verteidigungshaushaltes war.((Project Horizon 1959, Bd. 1, S. 6.))

Von heute aus betrachtet war ein solches Programm jenseits aller Vorstellungsmöglichkeiten. Bis 1967 hätten demnach insgesamt 252 Menschen den Erdkreis verlassen, 42 wären zum Mond weitergeflogen und 26 wären schon wieder zur Erde zurückgekehrt. Eine um die Erde kreisende Raumstation mit einer ständigen Besatzung von 10 Mann sollte hauptsächlich zum Nachtanken der Raumfahrzeuge auf dem Weg zum Mond dienen.

Die Studie rechnete insgesamt mit 229 Starts von Saturn-Raketen mit Mannschaft und Nutzlast. Dazu benötigte man 73 wiederverwendbare einstufige Träger, ähnlich den wiederverwendbaren Feststofftanks beim heutigen Space Shuttle. Außerdem war eine Flotte von kleinen Raumfahrzeugen zur Fortbewegung außerhalb der Raumstation geplant. Mit ihnen sollten zum Beispiel die Treibstoffbehälter zum Auftanken an die Mondfahrzeuge herangebracht werden.

Abbildung 7.3: Mondstation für 12 Mann Besatzung. In der ersten Phase der Einrichtung einer dauerhaften Mondbasis müssten verschiedene Gebäudekomplexe entstehen. Die Energie sollten vier Kernkraftwerke in der Umgebung erzeugen. Die Station sollte nicht nur Unterkünfte für die Mannschaft, sondern auch verschiedene wissenschaftliche Laboratorien umfassen. Quelle: Project Horizon, Army Ballistic Missile Agency, 1959
Abbildung 7.3: Mondstation für 12 Mann Besatzung. In der ersten Phase der Einrichtung einer dauerhaften Mondbasis müssten verschiedene Gebäudekomplexe entstehen. Die Energie sollten vier Kernkraftwerke in der Umgebung erzeugen. Die Station sollte nicht nur Unterkünfte für die Mannschaft, sondern auch verschiedene wissenschaftliche Laboratorien umfassen. Quelle: Project Horizon, Army Ballistic Missile Agency, 1959

Ich befragte Hermann Koelle bei einem Gespräch im Dezember 1992 zu der sehr hohen Anzahl von Starts des „Projekt Horizont“. Er antwortet:

„Wir bezogen uns damals auf den erreichten Entwicklungsstand… Wir wagten daher nicht, mit der Idee einer größeren Startrakete zu spielen. In diesem Fall hätten wir die Zahl der Starts vermindern können. Aber aus Washington war zu hören: rechnet nicht mit einer größeren Saturn als der, die wir damals hatten.“

Projekt Horizont bezog sich nur auf das, was sich die Raumfahrtpioniere damals schon zutrauten. „Man braucht eine Menge Mut, um zu sagen, dass man es schaffen kann“, stellte Koelle fest. „Aber wir waren sehr zuversichtlich, dass es machbar sei. Soviel sagten wir auch zu, und das trug, wie ich glaube, zu der Entscheidung bei, auf den Mond zu gehen.“

Warum wurde die Armee damit beauftragt? Der Bericht nennt historische Gründe: „In der ganzen Geschichte dienten militärische Außenposten immer als Drehscheibe, um die herum sich die soziale, ökonomische und politische Struktur der Zivilisation entfaltete.“((Project Horizon 1959, Bd. 1, S. 46.)) Unter Verweis auf die Erschließung des amerikanischen Westens und die wissenschaftlichen Stationen in der Antarktis fährt der Bericht fort: „Wo andere scheiterten, überwand das Ingenieurkorps der US-Armee und sein Sanitätsdienst die Elemente der Natur und baute den Panamakanal.“((Project Horizon 1959, Bd. 1, S. 8.))

Die Armee verfügte über die wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten, um ein solches Programm durchzuführen. Neben dem besten Raketenbauteam der Welt verfügte die Armee über das Ingenieurkorps, das den Außenposten auf dem Mond errichten und den Mond vermessen würde. Der Sanitätsdienst der Armee würde die Raumfahrer ausbilden und sich um ihre Versorgung, ihr Wohlbefinden und die medizinische Versorgung im All kümmern.

Das Fernmeldewesen der Armee würde für die Kommunikation und die Funkverbindung mit den Raumfahrern sorgen. Die Quartiermeisterei wäre für die Ernährung der Raumfahrer und den übrigen Bedarf wie Kleidung bis hin zu speziellen Werkzeugen, Ersatzteilen und Erholungsmöglichkeiten zuständig. Das Transportkorps würde die Entwicklung geeigneter Mondfahrzeuge und Vorrichtungen für den Lastentransport von, zu und auf dem Mond besorgen.

Die benötigte Energie sollten mehrere Kernreaktoren liefern, die zur Sicherheit in den Mondboden eingegraben werden. Zusätzlich zu den Wohn- und Vorratseinheiten für die Mannschaft sollten sieben Module als wissenschaftliche Forschungslabors vor Ort zur Erkundung des Mondes, der dortigen Lebensbedingungen und für medizinische Aufgaben bereitstehen.

Hatte das „Projekt Horizont“ bei der Entscheidung für das Apollo-Projekt eine Rolle gespielt? Auf diese Frage antwortete Koelle:

„Ich glaube sicher, dass es die Entscheidung, auf den Mond zu gehen, beeinflusst hat. Es war damals, als die Entscheidung gefällt wurde, die einzige vorhandene Systemstudie. Es gab keine andere Studie von vergleichbarem Umfang und Detailgenauigkeit, die zeigen konnte, dass man eine Mondstation bauen konnte. Ohne diese Studie hätte es kein Apollo-Programm gegeben.“

Am 21. Oktober 1959 gab Eisenhower bekannt, dass von Brauns Mannschaft der NASA überstellt würde. General Medaris hatte seinen Krieg mit Washington schließlich doch verloren. Am 8. September 1960 weihte Eisenhower das neue Marshall-Raumfahrtzentrum der NASA ein.

Damit endete die Pionierrolle der US-Armee bei der Raumerkundung. Die aus Deutschland stammenden Raumfahrtpioniere konnten sich nun endlich ganz auf die eigentliche Aufgabe konzentrieren: der Menschheit den Weltraum zu erschließen.