Beispiel: Wie Großbritannien eine positive Rolle spielen kann

Von Anfang an betonten wir in diesem Buch die Bedeutung der Erforschung und Besiedlung des Weltraums. Wir wählten diesen Bezugspunkt, weil die Erforschung und Besiedlung des Weltraums durch den Menschen mit den bestehenden und künftigen Technologien, die in den unmittelbar vor uns liegenden Jahrzehnten in wachsendem Maße verfügbar werden, schon angelegt ist. Wenn wir in den kommenden Jahrzehnten die schlimmsten Ungleichheiten unter den Nationen überwunden haben werden, wird sich der eigentliche Zweck menschlichen Daseins auf die Besiedlung des Alls richten, und diese Sichtweise wird sich immer mehr durchsetzen. Wenden wir gleichzeitig unsere Vorstellungskraft ins All und blicken von dort auf die kleinen Streitereien und anderen Torheiten auf unserer heutigen Erde herab. Von dieser Warte können wir unser derzeitiges Handeln objektiver beurteilen und eine umfassendere, bewusst kritische Sicht unserer gewöhnlichen Denk- und Verhaltensweisen entwickeln.

Vom Standpunkt des Weltalls kann nichts unseren Zorn mehr erregen als das Geschwätz jener Barbaren, welche die angeblichen Vorzüge dieser oder jener Rasse herausstellen oder „nationale Besonderheiten“ als biologisch bestimmte Merkmale eines bestimmten Teils der menschlichen Gattung definieren.

Es gibt nur einen qualitativen Unterschied innerhalb der menschlichen Gattung. Und dieser Unterschied liegt in der „Kultur“.

Einige der Unterschiede, die gewöhnlich im Zusammenhang mit dem Wort „Kultur“ genannt werden, haben für die Weltraumbesiedlung keine grundsätzliche Bedeutung. Unterschiede in den Essgewohnheiten, der Bekleidung usw. sind von der Art, wie sie beispielsweise ein Amerikaner ausdrückt, wenn er an sein „chinesisches Lieblingsrestaurant“ denkt; unsere Erfahrungen erweitern sich, und wir freuen uns, neue Gebräuche kennenzulernen. Die einzig wirklich bedeutsamen kulturellen Unterschiede, auf die die Begriffe von „richtig“ und „falsch“ zutreffen, treten dort auf, wo abweichende Ansichten über die Stellung des Menschen und dessen Handeln im Universum ausgedrückt werden.

Die Menschheit hat nur einen einzigen Feind, und das ist ein „falsches“ kulturelles Leitbild. Unter den Nationen kommt es dann zu Kriegen, wenn eine oder sogar beide Seiten unter dem Einfluss von menschenfeindlichen kulturellen Werten stehen. Völkermord, die rücksichtslose Ausbeutung einer unterdrückten Bevölkerung, Sklaverei, Rassismus und Malthusianismus sind Ausdruck „falscher“ kultureller Vorstellungen. Khomeinis Revolution im Iran ist Ausdruck eines „falschen“ kulturellen Leitbildes, genauso wie der Nazismus in Deutschland oder der Faschismus unter Benito Mussolini in Italien oder das von Ilja Ehrenburg in seinen Moskauer Propagandainstruktionen empfohlene Morden und Vergewaltigen der Bevölkerung besetzter Feindgebiete.

Es gibt nur zwei Wege, gegen „falsche“ kulturelle Wertvorstellungen vorzugehen. Entweder müssen sie gewaltsam in ihre Schranken verwiesen werden, oder die Kultur der betreffenden Bevölkerung muss sich insgesamt verändern. Es ist nichts falsch daran, hierbei Gewalt anzuwenden oder eine Veränderung der Kultur zu erzwingen, zumindest nicht an der Tatsache, dass Gewalt angewendet oder die Veränderung erzwungen wird. Solch ein Eingreifen wäre nur „falsch“, wenn dies eine Kraft tut, die selbst eine „falsche“ Kultur repräsentiert, oder wenn das erzwungene neue kulturelle Leitbild selbst „falsch“ ist.

Zugegebenermaßen klingen diese Äußerungen für viele auf den ersten Blick recht „undemokratisch“. Nach den heute gängigen radikalen Spielarten der „Demokratie“ würde man beispielsweise den Nazismus der Jahre 1936 bis 1938 nach den Kriterien bewerten, ob eine Mehrheit der mündigen Bürger die Nazi-Herrschaft damals guthieß; oder man würde das „demokratische Ansehen“ einer Regierung, die im Ausland ungeheure Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt, an der öffentlichen Unterstützung im eigenen Lande messen. Ganz ähnlich spricht man sich heute für oder gegen malthusianische Anschauungen aus, je nachdem, wie viel Prozent der „öffentlichen Meinung“ dafür oder dagegen sind – gleichgültig, wie unmoralisch und grausam eine solche Politik ist.

Ein solches Verständnis von „Demokratie“ ist David Hume, Adam Smith und Bentham in Reinkultur: man „gefällt“ sich darin, die Meinung der „Mehrheit“ zu vertreten, ungeachtet der Folgen für die Menschheit. Eine solche „Demokratie“, die irrationale Tyrannei der Mehrheit, zielt direkt darauf ab, eine Tyrannei der wenigen über die Bevölkerungsmehrheit entstehen zu lassen, wie es die von der persisch finanzierten „demokratischen Partei“ des antiken Athen an die Macht gebrachte Tyrannenherrschaft oder die Jakobinerherrschaft in Frankreich verdeutlichen.

Die Tyrannei der augenblicklichen Volksmeinung führt nur zu oft zu der Volksmeinung, dass eine Tyrannei der wenigen erstrebenswert sei. Da die „reine Demokratie“ von ihrer Grundsatzdefinition her unmoralisch ist, führt sie gewöhnlich auch zu unmoralischen Folgen.

Regierungsgrundsatz muss die Verwirklichung einer demokratischen rechtsstaatlichen Republik sein. Doch selbst dies schützt nicht vor von Regierungen oder von Abstimmungsmehrheiten verursachter menschlicher Not, wenn das Recht selbst „falsch“ ist, d.h. falsche kulturelle Wertvorstellungen in den Gesetzen zum Ausdruck kommen. Wir brauchen eine demokratische republikanische Regierungsform unter einem „rechtmäßigen“ Recht, einem Recht, das die „richtigen“ kulturellen Werte verkörpert. Wir brauchen ein Recht und eine Regierung, die an die Heiligkeit des individuellen menschlichen Lebens gebunden sind, eine Regierung, die sich verpflichtet fühlt, das göttliche Potenzial des einzelnen zu entwickeln und ihm Möglichkeiten zu geben, diese entwickelten Fähigkeiten fruchtbar zu verwirklichen.

Der Mensch hat bei einem richtig geordneten Rechtssystem einfach nicht das Recht, anderen etwas anzutun, nur weil die Mehrheitsmeinung es so will. Schon das Gegenteil zu behaupten, ist verwerflich, und eine Mehrheit, die tatsächlich das Gegenteil behauptet, handelt aus diesem Grunde verwerflich. Wir haben das Recht und die Pflicht, einen Mörder zu fangen, unser Land vor Zerstörung zu bewahren usw., auch wenn dies Menschenleben kosten mag. Dennoch hat niemand, weder eine Regierung noch irgendeine Mehrheit, das Recht, einem Menschen das Leben zu nehmen oder ihm seine Lebensgrundlage zu entziehen – es sei denn in rechtlichen Situationen, in denen der unbedingte Grundsatz, das individuelle menschliche Leben um jeden Preis heilig zu halten, selbst keine andere Wahl zulässt. Menschenleben dürfen nur im Kampf um die Erhaltung von Leben geopfert werden, und in keinem anderen Fall dürfen wir unser eigenes Leben beenden oder dessen Beendigung zustimmen. Im Kriegsfall darf man nur töten, um eine Tyrannei oder eine „falsche“ Kultur zu besiegen, die auf keine andere Weise überwunden werden kann. Eine Tyrannei oder Kultur, der wir im Krieg oder mit anderen Mitteln entgegentreten, ist nur dann „falsch“, wenn sie jene Grundsätze über den Menschen und den Menschen im Universum ablehnt oder grob verletzt, die uns heilig sind.

Gewalt darf nur angewandt werden, um es „richtigen“ kulturellen Wertvorstellungen zu ermöglichen, ein „falsches“ kulturelles Leitbild unter Kontrolle zu halten, und wir dürfen einem Volk eine ihm „fremde“ Kultur nur aus diesem Grund und nur auf Grundlage dieser Autorität vorschreiben.

Nein, die hier geäußerten Ansichten sind nicht „undemokratisch“. Die heiligen Rechte des Individuums müssen geschützt werden. Nie darf die Definition von „demokratisch“ von der Frage nach „richtig“ und „falsch“ getrennt werden.

Bekanntermaßen löst jeder Versuch, Gesellschaften eine bestimmte Definition von „richtig“ und „falsch“ aufzuerlegen, Fraktionskämpfe und ähnliche Auseinandersetzungen aus. Von wem und mit welchen Mitteln soll festgelegt werden, was „richtig“ und was „falsch“ ist? Das kann nicht einer willkürlichen Autorität überlassen bleiben. Man kann sich hierbei nicht auf die Lehren irgendeiner Religionsgemeinschaft stützen, nur weil es eben die Lehren einer Kirche sind oder weil diese Kirche schon immer Zulauf einer breiten Mehrheit findet. Nein! In diesem Fall steht die „Richtigkeit“ oder „Falschheit“ der Kirchenlehre selbst auf dem Prüfstand!

Das soll nicht heißen, dass Kirchen falsch oder überflüssig seien, nur weil sie Kirchen sind. Die religiöse Mission einer Kirche kann die Menschen auf den richtigen Weg bringen, und in dieser Hinsicht verdient die Kirche, die diesen Zweck verfolgt, Bewunderung. Darüber hinaus gibt die Wissenschaft einen Beweis für die Existenz des augustinischen und des platonischen Gottes, des Gottes von Moses und den ägyptischen Amon-Priestern. Das Universum in seiner Gesamtheit, als ein anhaltender, schöpferischer Selbstevolutionsprozess, hat alle wesentlichen Kennzeichen eines Lebewesens, und wie der Begriff der Hypothese der höheren Hypothese die Existenz eines solchen Logos reflektiert, ist sein erkennbarer Wille grundsätzlich wesensgleich mit diesem universalen Lebewesen. In dem Maße, wie Christus den wesentlichen Aspekt der Liebe ausdrückt, der darin besteht, den menschlichen Willen in Übereinstimmung und in die Dienste des Logos zu stellen, erhalten Augustinus und das Johannesevangelium eine wissenschaftliche Grundlage. Kardinal Nikolaus von Kues verstand diese Frage sehr gut. In dieser Hinsicht haben bestimmte Kirchenlehren und die Kirchen, die diese Lehren verkörpern, Autorität. In solchen Fragen haben und äußern wir keine abweichende Meinung, auch nicht, wenn es darum geht, die Bedeutung der individuellen persönlichen Beziehung und Verantwortlichkeit gegenüber Gott und dem Logos anzuerkennen.

Das praktische Problem ist, dass jene Kirchen, bei denen man eigentlich die Befolgung dieser Grundsätze voraussetzen sollte, häufig vorsätzlich oder infolge achtloser Verhaltensweisen gegen diese Prinzipien verstoßen. Wir dürfen selbst dann nicht die theokratische Herrschaft einer Kirche dulden, wenn sie nominell die rechtmäßige Lehre predigt. Das Universum selbst ist die „Heilige Schrift“, und alle anderen Bücher sind nur soweit dienlich, als sie uns anleiten, das Universum richtig zu lesen, oder uns unseren Vorfahren und ihren Werken näher bringen.

In der großen Menschheitsfamilie, die jetzt an der Schwelle steht, das All zu erforschen und zu besiedeln, gibt es viele Religionen. Das Völkerrecht sollte deshalb als ökumenisches Recht jener Religionen und religiösen Kulturen verfasst werden, die gemeinsam das individuelle menschliche Leben für heilig halten und gemeinsam sich verpflichtet fühlen, das schöpferische produktive Potenzial des Menschen, das Göttliche innerhalb des Einzelnen, zu entwickeln und freizusetzen. In welchem Buch sollen wir dieses ökumenische Recht nachlesen? Auf welches Gesetzbuch sollen wir uns berufen, um ein Völkerrecht zu verfassen? In welchem Buch finden wir geschrieben, dass wir eine gemeinsame Übereinkunft darüber finden müssen, was „richtig“ und was „falsch“ ist?

Der Verfasser stimmt mit den Lehren einer Reihe religiöser Glaubensrichtungen in den Fragen überein, die er als unverrückbare, für die gesellschaftliche Praxis wesentliche Wahrheiten betrachtet. Dennoch wird er nicht der opportunistischen Versuchung unterliegen, die betreffenden Glaubenstexte einfach nebeneinander zu legen und sie zu gemeinsamen Grundsätzen zu erklären, nur weil die Texte zufällig übereinstimmen. Ein solches Universalrecht abzufassen oder es vorzuschlagen, haben wir kein Recht. Wir müssen vor allen Menschen beweisen, was richtig und was falsch ist. Auch braucht kein Kirchenmitglied diesen Vorgang zu fürchten, solange er nicht fürchtet, sein eigener Glaube erwiese sich als falsch.

Es ist tröstlich für den Verfasser, sich auf das Gebot der Schöpfungsgeschichte stützen zu können, dass Menschen fruchtbar sein und sich mehren, die Erde füllen und sich die Natur und alles in ihr untertan machen sollen. Dem stimmt er wie viele andere voll zu. Es ist beruhigend, auf das Johannesevangelium und die Missionsbriefe des Paulus zurückgreifen zu können oder sich mit Kardinal Nikolaus von Kues in den Fragen des Florenzer Konzils, in den Aussagen des De non aliud und der Ökumene des De pace fidei wiederzufinden oder sich in ökumenischer Brüderlichkeit mit Philo von Alexandria und Ibn Sinas Metaphysik zu treffen. Es ist auch tröstlich, sich mit den großen Sanskrit-Gelehrten einig zu wissen. Doch das alles reicht nicht aus. Wir müssen dieses Recht, das Recht von „richtig“ und „falsch“, vor der gesamten Menschheit und durch den „Himmel“ selbst beweisen. Viel verdanken wir diesen Büchern, den Menschen, die sie schrieben, und denen, die nach ihnen lebten. Wir verdanken ihnen, dass wir aus der Geschichte des Kampfes der Menschheit darum, das Universum als gesetzmäßiges Ganzes zu verstehen, etwas lernen können. In dieser Geschichte, in den Prinzipien, die wir daraus ableiten können, steht das Gesetz des Himmels geschrieben, jenes Himmels, an dessen Schwelle die Menschheit steht.

Die Schöpfungsgeschichte – das Buch des Lebens – hat uns aufgetragen, das relative Bevölkerungsdichte-Potenzial der Menschheit zu erhöhen. Bisher haben wir dieses Gebot, wenn auch oft auf Umwegen und nur mit Widerwillen, befolgt, so dass heute das relative Bevölkerungsdichte-Potenzial der Menschheit um mehr als zwei Größenordnungen höher liegt, als es in der Urgesellschaft der Fall war. Im Fortschritt der Arbeit, den uns das Gebot der Schöpfungsgeschichte auferlegt, liegt unser Schicksal. Eine Reihe wissenschaftlicher Revolutionen ermöglichte uns die Entdeckung, dass es ein gemeinsames Entdeckungsprinzip gibt, welches die aufeinander folgenden wissenschaftlichen Revolutionen wirksam ordnet, ein Entdeckungsprinzip, dessen genaue Kenntnis uns die Vervollkommnung unseres Wissens erlaubt. Dieses Prinzip, diese Macht unterscheidet uns von den Tieren. Es ist das göttliche Potenzial in uns.

Es ist unsere klare und erwiesene Pflicht, dieses Wissen zu vervollkommnen, nicht nur wegen der für uns daraus erwachsenden materiellen Vorteile, sondern um der Vervollkommnung selbst willen. Letztlich liegt der Zweck des Erkenntnisfortschritts nicht darin, unseren materiellen Bedürfnissen zu dienen, sondern Fortschritte bei der Befriedigung dieser Bedürfnisse haben vielmehr den Zweck, uns durch unsere Arbeit bei der Vervollkommnung unseres Wissens anzuleiten und in zunehmende Übereinstimmung mit dem Logos zu bringen.

In allem, was wir tun, sei es in der Arbeit für unseren Lebensunterhalt oder in der Beurteilung des Rechts, müssen wir nach weiterer Wissensvervollkommnung jenes Prinzips streben, das wir die Hypothese der höheren Hypothese genannt haben. Der Logos ist das Gesetz des Universums, das Naturgesetz, und aus diesem Buch des Logos müssen wir das Gesetz allen Menschen vorlesen. Es ist Zeit, die nächste Seite umzublättern.

In diesem Sinne ist technologischer Fortschritt das Gesetz.

Platon, Augustinus und Dante Alighieri

Dagegen wird oft eingewandt: „Technologischer Fortschritt bringt nicht zwingend eine höhere Moral mit sich.“ Richtig ist sicher, dass ein Profikiller, gibt man ihm eine bessere Waffe, dadurch lediglich seine Trefferquote erhöht, ohne dass er moralisch zum Besseren beeinflusst würde.

Dennoch existiert eine Wechselbeziehung zwischen der individuellen Erfahrung technologischen Fortschritts und rationalen Denkformen sowie einem höheren sozialen Verhaltensniveau. Immer wenn eine Bevölkerung auf diese Weise rationaler wurde, stellten sich auch deutliche moralische Fortschritte ein. Umgekehrt zeigt sich dies noch deutlicher. Eine pessimistische Haltung gegenüber Technologie, sei es infolge stagnierenden Fortschritts oder durch mangelnden Zugang zum Fortschritt und seinen Vorteilen, fördert zwangsläufig kulturellen Pessimismus. Ein solcher Kulturpessimismus wiederum entfesselt unweigerlich alles Schlechte, das bei einer Bevölkerung denkbar ist. Die Nazi-Herrschaft war dafür ein Beispiel. Ähnliches geschieht, wenn technologischer Fortschritt unterdrückt wird, z. B. durch den Kolonialismus. Ganze Nationen werden dadurch degradiert, wodurch bei Unterdrückern wie Unterdrückten ein gleichermaßen degradiertes Menschenbild erzeugt wird.

Trotz der moralisch wie materiell unbestreitbar günstigen Auswirkungen des technologischen Fortschritts – ausgehend von jenem technologischen Fortschritt, wie wir ihn im vorangegangenen Kapitel definiert haben – ist damit das oben angeführte Gegenargument noch nicht ganz widerlegt. Es gilt nun zu bestimmen, welcher technologische Fortschritt die moralische Entwicklung fördert und mittels welcher Prozesse dies bewirkt wird.

Damit sind wir bei einem Thema, womit sich Platon, der hl. Augustinus und Dante Alighieri in seiner Commedia nachhaltig beschäftigt haben: dass sich nämlich die menschliche Moral auf drei alternativen Ebenen abspielt, wie sie annäherungsweise in Dantes „Inferno“, „Fegefeuer“ und „Paradies“ beschrieben sind. Diese drei moralischen Ebenen kennzeichnen jeweils den Zustand einer menschlichen Gesellschaft überhaupt und bilden daher die natürlichen Grundlagen für das Potenzial des Einzelnen, kulturelle Werte zu schaffen und zu assimilieren. Genau diese werden durch die Erfahrung oder auch das Fehlen technologischen Fortschritts geprägt, wodurch wiederum die Entwicklung moralischer Anschauungen (kultureller Werte) günstig oder ungünstig beeinflusst wird.

Wir alle sind bei Geburt mit der „Erbsünde“ behaftet. Wir alle werden als irrationale Hedonisten geboren, doch schlummert in jedem von uns jener göttliche Funke, der, wird er erweckt, uns den moralisch degradierten Zustand, in den wir hineingeboren werden, überwinden lässt. Die Ursache allen gesellschaftlichen Übels besteht darin, ein Kind, Jugendlichen oder Erwachsenen daran zu hindern, sich aus diesem infantilen, irrationalen Hedonismus zu befreien oder es dazu zu ermuntern, in einen derart infantilen Zustand zurückzufallen.

Kern der Moralphilosophie von Thomas Hobbes, John Locke, David Hume, Adam Smith, Jeremy Bentham und John Stuart Mill ist moralischer Infantilismus. Der infantile Geist ist besessen von seinen persönlichen Wünschen, ohne Rücksicht auf Folgen für die Gesellschaft als Ganzes. Dies ist auch der Kern des Anarchismus und des Existentialismus und die philosophische Grundanschauung eines typischen Nazis. Solcher Art sind die Charaktere in Dantes „Inferno“.

Kant missfiel Humes Einstellung derart, dass er verschiedene Bücher gegen Humes unmoralischen „philosophischen Indifferentismus“ verfasste, die eine breite Wirkung erzielten. Im letzten Abschnitt seiner Kritik der praktischen Vernunft, der „Dialektik der praktischen Vernunft“, fasste Kant das Problem zusammen. Kants Definition der individuellen Moral entspricht einer Menschheitsidee, die mehr oder weniger exakt den Charakteren in Dantes „Fegefeuer“ eigen ist.

Nach Kant wirkt die Gesellschaft auf den Infantilen ein, um, etwa im Sinne Sigmund Freuds, jene infantilen Regungen zu „unterdrücken“, deren Konsequenzen gesellschaftlich unerwünscht sind. Soweit des Individuums Liebe zu seinen Eltern und der Gesellschaft mit solchen „repressiven Akten“ assoziiert ist, werden Repressionen auf Grund dieser erfahrungsgemäßen Verbindung positiv aufgefasst. Das „Negative“ der „Repression“ wird somit durch Liebesassoziation negiert, und das Individuum ist auf die so erreichten veränderten Regungen stolz. Durch diese „Negation der Negation“ erfährt sich das Individuum als moralische Persönlichkeit. Dieser Mensch wird nichts unternehmen, was in der Konsequenz gesellschaftlich schädlich ist, zumindest nicht ohne schlechtes Gewissen.

Gewöhnlich verbindet man mit Kant keine Emotion der Liebe, was einerseits mit seiner Persönlichkeit selbst, andererseits mit seinen bekanntlich äußerst trockenen Schriften zusammenhängen mag. Man könnte uns vorwerfen, wir hätten Kant hier überinterpretiert, doch sind wir der Meinung, Kant in diesem Punkt lediglich korrigiert zu haben.

Kants Trockenheit entging auch Friedrich Schiller nicht, der die Konsequenzen der Unzulänglichkeit Kants immer wieder betonte, wenn es um das aktive Erfassen des Prinzips großer künstlerischer Kompositionen ging. Kant war durchaus brillant, und ihm kommt ohne weiteres das Verdienst zu, auch dann schlüssig gewesen zu sein, wenn er an einer irrigen Annahme arbeitete. In seinen Annahmen ging er bis an die äußersten Grenzen und berichtete offen, an welche Hemmnisse er dabei stieß. Sein Befund über das Ding an sich und seine Kämpfe mit einem a priori synthetischen Wissen sind Illustrationen dieser ehrlichen Gründlichkeit. Man muss fürchten, dass der arme Kant, als er starb, nicht nur ins Fegefeuer kam, sondern sich seitdem auch stur weigerte, diesen Ort zu verlassen. Er glaubte wohl, dass das Paradies existiere, aber bestand auch darauf, dass es keinen logischen Weg gebe, auf dem ein Mensch dorthin gelangen könne. Kant bewunderte die Idee des Paradieses, aber er würde sie niemals genießen. Fragte man den Verfasser um Rat, würde er Petrus raten, Kant im Fegefeuer zu belassen, wo Sitten und Klima der notorisch an Gewohnheiten gefesselten Natur des alten Burschen am ehesten entsprechen.

Tatsächlich existiert das „a priori synthetische Wissen“, mit dem sich Kant ein Leben lang herumgeschlagen hat, nicht nur, sondern ist auch prinzipiell der menschlichen Erkenntnis zugänglich, und zwar in Form der „Hypothese der höheren Hypothese“. Wir befassen uns mit dem Problem zunächst vom Standpunkt der Kantschen Kategorien, um es dann vom dichterischen und historischen Standpunkt Schillers noch einmal aufzugreifen. Diese Untersuchung hat nicht nur Bedeutung für Kants Unfähigkeit, ins „Paradies“ einzutreten, sondern auch für ähnliche Schwierigkeiten, mit denen die meisten Menschen geschlagen sind.

Bei der mathematischen Physik, die wir bereits umrissen haben, beginnt die geometrische Physik mit einem einzigen Wirkungsprinzip im Universum. Dieses einzige Wirkungsprinzip hat (abhängig von unseren Vorstellungen des sichtbaren Raums) die Form einer Kreisbewegung, wie sie das isoperimetrische erste Theorem der Differentialtopologie definiert. Die erste Drehung schafft das Universum aus dem Nichts, doch definiert sie die Kreisfläche durch kein anderes Maß als die Drehbewegung selbst. Davor existiert weder die Definition einer Ebene noch ein Maß, das etwas über die Größe des Kreises aussagen könnte.

Dieses Wirkungsprinzip ist die erste Definition des physikalischen Raums. Wir haben damit in der unermesslichen und formlosen Leere des Raums eine Begrenzung eingeführt. Jetzt wenden wir dasselbe Prinzip auf den von uns geschaffenen Kreis an und konstruieren so die „Gerade“, die als Selbsthalbierung der durch den ursprünglichen Schöpfungsakt entstandenen Ebene definiert ist. In das Universum als Ganzes haben wir so eine zweite Begrenzung eingeführt. Mit einer zweiten Drehbewegung des ursprünglichen Kreises schaffen wir einen Punkt, die dritte Begrenzung in einer ursprünglich unermesslichen und formlosen Leere des Raums.

Auf diese Weise schaffen wir nach und nach das Universum. Wir können niemals irgendetwas anwenden, was wir nicht aus dem ursprünglichen Wirkungsprinzip erzeugt haben.

Während wir so fortfahren, erinnern wir uns, dass wir nicht der Schöpfer sind. Wir denken und definieren Schöpfung als die einzig mögliche Handlung in einem geschaffenen Universum. Wir denken also nur über die Schöpfung nach, aber wir schaffen das Universum nicht. Wenn wir uns dieser wichtigen Tatsache eingedenk sind, haben wir das Zeug zum Physiker. Wir vergleichen unsere gedachte Schöpfung mit der existierenden Schöpfung, deren Teil wir sind. Wir studieren den existierenden Schöpfungsprozess und messen unser Schöpfungsprinzip als Prozess an der wirklichen tatsächlichen Schöpfung.

Von hier ist der Weg zum Studium der platonischen Körper nicht weit. Im Zentrum der platonischen Körper steht das Fünfeck: alles im sichtbaren Raum Mögliche hängt von der Beziehung des zwölfflächigen Dodekaeder zur Ableitung des Fünfecks vom Kreis ab (s. Abb. 10).

Abbildung 10. Aus dem Dodekaeder können die vier restlichen platonische Körper erzeugt werden: Zieht man die Diagonalen durch die Fünfecke des Dodekaeders, so erhält man einen Würfel (a). Auf dieselbe Art und Weise erzeugt man aus einem Würfel einen Tetraeder (b). Verbindet man die Flächenmittelpunkte des Dodekaeders, so entsteht ein Ikosaeder (c), ebenso entsteht aus einem Würfel ein Oktaeder (d).

Diese geometrische Beschränkung des sichtbaren physikalischen Raums beweist jedoch, dass der sichtbare Raum die Realität nur verzerrt wiedergibt. Wir kommen so zu den Kegelfunktionen im komplexen Bereich, die die harmonischen und anderen Eigenschaften des sichtbaren physischen Raums erklären können. In diesem Bereich, dem kontinuierlichen Gebiet komplexer Kegelfunktionen, steht alles mit dem einzigen Schöpfungsprinzip, das wir das Prinzip der kleinsten Wirkung genannt haben, im Einklang. Damit wird experimentell die gesetzmäßige Methode bewiesen, womit der wirkliche Schöpfer das Universum geordnet hat. Wir wissen jetzt, dass wir tatsächlich auf die Grundzüge des Schöpfungsprinzips gestoßen sind. Und wir haben gelernt, die Einleitungskapitel des großen Buches, das der Logos in die Himmel schreibt, zu lesen.

Wir stehen an der Schwelle des Paradieses, aber nur, wenn wir genau wissen, was wir tun.

Das Schöpfungsprinzip, wonach jede Handlung im Universum selbst ein Schöpfungsakt ist, ist der menschlichen Erkenntnis zugänglich. Implizit können wir selbst schöpferisch wirken, wenn wir die Schöpfung so nachvollziehen, wie der Schöpfer sie erbaut hat. Wir wünschen uns, Werkzeuge des Schöpfers zu werden, indem wir dieses Prinzip und die richtungweisende Orientierung, die er dieser Schöpfung beigegeben hat, begreifen. Wenn wir beginnen, daran Freude zu empfinden, haben wir die Pforte zum Paradies durchschritten.

Kant hatte in diesem Punkt unrecht.

Die Grundidee der Komposition klassischer Poesie und Dramatik oder auch des Verständnisses von Universalgeschichte liegt darin, über bewusstes Denken in einer ganz bestimmten Weise nachzudenken. Diese Reflektion über das bewusste Denken, bei der bewusstes Denken zum Objekt bewussten Denkens wird, macht uns deutlich, weshalb wir (und andere) so denken, wie wir es augenscheinlich tun. Wenn wir auch die praktischen Konsequenzen unserer Entscheidungen in solche Reflektionen mit einbeziehen, dann sind wir imstande, in unserem eigenen Denken jene Annahmen auszumachen, die normalerweise Entscheidungen zugrunde liegen, welche sich für die Gesellschaft oder auch nur für uns selbst als Katastrophe erwiesen haben. Genau wie wir die Prämissen der vorherrschenden Wissenschaft einer strengen Untersuchung unterziehen und damit wissenschaftliche Revolutionen möglich machen, verändern wir die Grundannahmen unserer eigenen, normalen Entscheidungsfindung und machen uns so selbst zu besseren Menschen.

Die dichteste Form solch bewussten Reflektierens über das bewusste Denken geschieht im klassischen Drama, wie es von Aischylos, Shakespeare und Schiller konzipiert wurde. Schillers späte Tragödien fußen auf einem gründlichen Studium der Geschichte. Obwohl er sich dramatischer Freiheiten bediente, um die Geschichte auf der Bühne zu verändern, entsprachen alle Themen und Verhaltensprobleme, die er auf die Bühne brachte, dem Gang der Geschichte; es waren die wirklichen geschichtlichen Probleme, der konzentrierte Ausdruck realer Schicksale von Führern und Völkern der wirklichen Geschichte. So stimmt jede seiner großen Tragödien mit dem Prinzip der höheren Hypothese überein. Darüber hinaus war Schiller nicht nur einer der beliebtesten und einflussreichsten Dichter und Dramatiker Deutschlands, sondern ein politischer Kopf, der primus inter pares der deutschen Klassik, zu der auch Goethe, Kant und der junge Wilhelm von Humboldt gehörten. Mehr als jeder andere nach Leibniz beeinflusste Schiller die von Stein, Humboldt und Scharnhorst in den Jahren 1809–13 in Gang gesetzten Reformen. Besonders nach dem schrecklichen Spektakel des Jakobinerterrors in Frankreich wollte er unter allen Umständen sicher gehen, dass im deutschen Volk der große Moment des 18. Jahrhunderts nicht – wie in Frankreich – mit der Tragödie eines „kleinen Geschlechts“ enden würde. Obwohl der Verrat der Hohenzollern an Deutschland seit dem Wiener Kongress von 1815 dem deutschen Volk nur Enttäuschungen und den Kulturpessimismus der Romantik brachte, bewirkten Schillers Dramen in einem großen Teil des deutschen Volkes in den Jahren 1809–15 eine solche Veredlung und rasche Veränderung der kulturellen Werte, wie sie in der modernen Geschichte ohne Beispiel ist.

In seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen nimmt Schiller eine vernichtende Kritik der sterilen Ästhetik Kants vor. Im Gegensatz zu Kant stimmt bei Schiller das schöpferische Prinzip großer Kunst, ihr künstlerisches Anliegen, mit dem oben beschriebenen Schöpfungsprinzip überein.

Menschen, die ins Paradies gelangen, zeichnen sich durch zwei Wesensmerkmale aus. Einmal durch ihre intellektuelle Freude am Ringen um das Verständnis des Schöpfungsprinzips und durch ihre Fähigkeit, an der Schöpfung mitzubauen. Getragen werden muss eine solche verstandesmäßig geprägte Freude von einer großen Liebe zur Menschheit, so wie Schillers beispielhafte schöpferische Liebe zum deutschen Volk. Diese Fähigkeiten, welche mit einem Gefühl persönlicher Dienste und Verlässlichkeit gegenüber dem Schöpfer einhergehen, stoßen die Tore zum Paradies auf.

Lieben heißt, dafür zu arbeiten, die Menschheit ins Paradies zu bringen, und zwar unter Anwendung keiner anderen als eben dieser Mittel.

Dies ist das große Gesetzbuch des Logos, wie es in den Himmeln geschrieben steht. Das ist das Gesetz, das wir den Völkern dieses Planeten nahebringen müssen. Nur so können diese Völker einst im moralischen Sinne den Himmel betreten, anstatt sich selbst und gegenseitig zu zerstören.

Dafür gibt es im täglichen Leben viele Beispiele. Um einem anderen etwas zu schenken und eine Freude zu bereiten, konstruiert jemand etwas, was besser ist, als jedes andere Objekt dieser Art, das er kennt. Er freut sich über die Freude, die er dem Beschenkten machen wird, und über seine eigenen Fähigkeiten, mit denen er das Geschenk bauen konnte.

Aufschlussreich ist auch ein gut komponiertes Gedicht, das in Ergebnis und Ausführung das gleiche Prinzip ausdrückt. Genauso verhält es sich mit musikalischen Kompositionen. Die größten Komponisten zeichnen sich dadurch aus, dass sie diesem Prinzip folgen. Dem großen Komponisten geht es nicht um „berufliche Anerkennung“ – er ist niemals bloß Unterhalter, der als solcher Erfolg sucht. Er muss einem moralischen Prinzip folgen: ein Werk von nützlicher, schöpferischer Qualität vollbringen, darum kämpfen, die Kunst der musikalischen Komposition zu erweitern. Nur da ist Liebe, bei der Suche nach der Wahrheit entlang der Grenzen, eingedenk der Risiken. Ein gutes Drama wird nicht geschrieben, um zu unterhalten, sondern um das Publikum auf unterhaltsame Weise zu veredeln und diese Veredlung an dem Wunsch, ins Paradies zu gelangen, zu messen. Schillers Dramen verdeutlichen dies beispielhaft.

Da die Fähigkeit, Musik zu komponieren, in diesem Jahrhundert tatsächlich zu einer verlorenen Kunst wurde, ist es angebracht, am Beispiel dieser paradiesischen Kunst zu zeigen, wie sich schöpferische Prinzipien direkt mit allen wesentlichen Aspekten der wohltemperierten Polyphonie decken. Wie wir zeigen werden, sind unterschiedliche Interpretationen musikalischer Harmonietheorien und musikalischer Komposition, soweit sie auf Personen zurückgehen, die mit der Musik als einer Form der Sprache vertraut sind, letztendlich nur moralische Unterschiede. Wo immer sich musiktheoretische Differenzen ergeben, ist die Ursache dieser Differenzen nicht musikalischer, sondern moralischer Natur. Man wählt den musiktheoretischen Standpunkt, der mit der Moral der jeweiligen persönlichen Weltanschauung gerade übereinstimmt.

Musik beginnt mit der wohltemperierten tonalen Polyphonie, die wir bereits angesprochen haben. Es gibt nur ein System musikalischer Tonwerte und harmonischer Beziehungen innerhalb der Schöpfung: das wohltemperierte Tonsystem, das durch das Prinzip der platonischen Körper bestimmt und durch die oben angedeuteten Kegelfunktionen definiert ist. Dieses Harmonie- und Tonsystem existierte schon, bevor es den ersten Musiker gab.

Wir wissen definitiv, dass die Wohltemperierung schon zu Zeiten Platons bekannt war und angewandt wurde, möglicherweise sogar noch früher. Im neunten Jahrhundert schreibt der islamische Wissenschaftler al-Farabi, seine aus zwölf Tonschritten bestehende Oktavleiter, die streng wohltemperiert war, sei bereits zu jener Zeit sehr alt gewesen. Verschiedene Umstände lassen die Vermutung zu, dass Leonardo da Vinci sich des wohltemperierten Systems bediente, wie auch die Bel-Canto-Methode der Stimm- und Gesangsausbildung bereits damals bekannt war. Die Prinzipien der Wohltemperierung wurden im 16. Jahrhundert von Bischof Zarlino gelehrt, dem einzigen bekannten modernen Musiktheoretiker, der sich mit diesen Grundfragen auseinandergesetzt hat. Bis heute gründet sich die gesamte Musiktheorie auf Zarlinos Werk – alles andere, was heute an grundsätzlicher Musiktheorie existiert, ist davon nur eine Annäherung oder – wie in den meisten Fällen – ohne jedes wissenschaftliche Niveau.

Das wohltemperierte System von 24 Dur- und Moll-Tonarten leitet sich von den platonischen Körpern ab. Das harmonische Entwicklungsprinzip in der Musik basiert auf der Quinte, der Quarte und der Terz sowie deren jeweiligen Umkehrungen. Quinte, Quarte und Terz sind das geometrische Äquivalent der „Primzahlen“, d. h. sie können geometrisch (durch regelmäßiges Auslassen von Ecken) nicht auf einfachere regelmäßige Vielecke reduziert werden. Von den „Primfiguren“ können wir durch Verdoppelung den Sechsflächner (Hexagon), Achtflächner (Oktagon) und Zehnflächner (Dekagon) ableiten (siehe Anhang).

Musik ist charakterisiert durch Entwicklung, sowohl prosodisch (d. h. die Musik steht, wie wir zeigen werden, in Beziehung zur Poesie) als auch harmonisch. Harmonische Entwicklung bedeutet gesetzmäßige Übergänge von einer Tonart zur nächsten, die sich entweder aus einem Prim-Intervall oder einem abgeleiteten Intervall ergeben, oder durch das Auftreten einer polyphonischen Dissonanz, die kompositorisch aufgelöst werden muss. Dissonanzen sind besondere Singularitäten, die so aufzulösen sind, wie das Dirichlet-Prinzip die Auflösung topologisch definiert. Der Bereich der 24 Dur- und Moll-Tonarten „verhält sich“ hierbei als Potenzialfläche, innerhalb derer die Auflösung in Übereinstimmung mit Dirichlets Prinzip stattfindet.

Die Musik kennt keine vertikale Harmonie, außer dass vertikale Harmonie erzeugt wird – im gleichen Sinne, wie in der Geometrie eine Linie erzeugt wird. Es gibt keine Gesetze vertikaler Harmonie, obwohl viele Musiker, die die tiefer liegenden Prinzipien nicht verstehen, aufgrund falscher Eindrücke oder Gewohnheiten das Gegenteil behaupten mögen. Jede Harmonie in der Musik ist horizontal, zeitgerichtet, nicht vertikal. Jede Stimme einer polyphonen Komposition entspricht einer Singstimme, die, sieht man einmal von Zirkusclowns oder Karnevalsprinzen ab, nicht zwei Noten gleichzeitig hervorbringen kann. Polyphonie entsteht durch die Einführung einer zweiten Singstimme, die (nach der kanonischen Grundharmonie) in zeitlicher und harmonischer Sequenz nach einer bestimmten Note in der ersten Stimme einsetzt.

Mit anderen Worten verzweigt sich die erste Singstimme an der Note, wo die zweite kanonische Stimme einsetzt, so dass die erste Singstimme in ihrer eigenen Stimmlinie fortfährt und gleichzeitig mit der ersten Note der zweiten Stimmlinie einen Verzweigungspunkt bildet. Der Zusammenklang dieser zwei Noten, der zweiten Note in ihrer eigenen Stimmlinie und der ersten Note der zweiten Stimmlinie, ergibt eine vertikale Konsonanz.

Dieses Verzweigungsprinzip stimmübergreifender Tonfolgen zieht sich durch die gesamte Komposition.

In wirklichen Kompositionen mag das Ergebnis in der Form scheinbar verschieden sein. Der Komponist kann sein Werk mit Akkorden usw. eröffnen. Die Komposition als Ganzes ist jedoch von musikalischen Grundkonzeptionen abgeleitet, die sich als Kanons ausdrücken lassen. Wenn also zu Beginn der Komposition ein Akkord erklingt, stellt man die Frage: Wie ist dieser Akkord entstanden? Mit welcher kanonischen Analyse lässt sich die vertikale Tonfolge aus der horizontalen Stimmführung erklären?

Dies betrifft lediglich die Harmonie der Komposition. Musik ist aber im wesentlichen auch gesungene Poesie, die sich, da sie polyphon ist, bei der Wahl der Tonwerte für die Silben der poetischen Harmonielehre unterwerfen muss. Chorale Polyphonie, der Mittelpunkt der Musik, geht auf gesungene Poesie zurück und leitet zu instrumentaler Polyphonie über.

So verlief die musikalische Entwicklungsrichtung bis Ludwig van Beethoven, wie die stimmübergreifende Polyphonie seiner späten Streichquartette unterstreicht, die den Musiker dazu zwingt, nicht nur die Stimme seines eigenen Instruments zu phrasieren, sondern zusammen mit den anderen Spielern eine Stimme oft über mehrere Instrumente hinweg zu phrasieren. Probleme, die nach Lösung verlangen, Probleme, die sich aus der polyphonisch konsonanten Anordnung metrisch definierter Stimmen ergeben, sind der eigentliche Kern dessen, was Musik erst zu Musik macht: Entwicklung. Ein klassisches Musikwerk ist ein polyphon gesungenes Gedicht, wobei die Gesamtkonzeption sich durch eine einzige, durchgehende und abgeschlossene Entwicklungslinie auszeichnet. Diese Entwicklung ist die der Komposition eigene „musikalische Idee“, und diese Entwicklung ist zugleich harmonisch (innerhalb der 24 Tonarten) und metrisch.

So stellt sich in der klassischen wohltemperierten Polyphonie genau das gleiche Problem schöpferischer Arbeit wie bei wissenschaftlichen Entdeckungen. Ihre Aufgabe besteht hauptsächlich darin, durch Musik in den Spielern und Zuhörern das schöpferische Potenzial anzuregen, das allen Formen schöpferischer Arbeit zugrunde liegt und das Prinzip der „Hypothese der höheren Hypothese“ in sich schließt. Hierin liegt die Bedeutung und das Heilige großer musikalischer Werke.

Die Zerstörung der Fähigkeit, Musik zu komponieren und Musik als Musik zu hören, geht vor allem auf das Konto Franz Liszts, Richard Wagners und anderer Exponenten der romantischen Schule. Beispielhaft für die entstandene Verwirrung ist die Tatsache, dass Musikwissenschaftler bei Beethoven romantische Züge zu entdecken vermögen und Brahms der gleichen Kategorie zuordnen wie seinen bittersten Feind Wagner. Sie hören keinen Unterschied mehr zwischen der „klassischen“ und „romantischen“ Musik, sondern nur einen „bestimmten Klang“, einen „bestimmten Stil“.

Die „klassische Schule“ ist weder „Klang“ noch „Stil“, sondern sie ist eine Grundauffassung vom Menschen und der Natur, ausgedrückt in musikalischer Komposition. Rameau zum Beispiel war ein wahrer Romantiker. Die wirkliche „klassische Komposition“, für die Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, insbesondere nach 1782, und van Beethoven stehen, gründet sich einzig und allein auf das Prinzip der gesetzmäßigen Entwicklung und Kreativität, die in gesetzmäßigen Entdeckungen zum Ausdruck kommt. Die romantische Schule hingegen hat „angenehme Effekte“ zum Prinzip erhoben, wie z. B. Klangteppiche oder das „An- und Abschwellen“ willkürlichen chromatischen Fortschreitens usw. Das war jedoch keine Neuentdeckung des 19. Jahrhunderts. Nach dem gleichen Prinzip komponierte schon Claudio Monteverdi, ein ehemaliger Schüler Zarlinos, der von Venedig angeheuert worden war, um mit derart romantischer Kompositionstechnik Zarlinos Einfluss zu untergraben.

Der wesentliche Grund, weshalb die verschiedenen Schulen bei Komponisten, Zuhörern, Musikern und Dirigenten den Zugang zur Musik zerstört haben, liegt vor allem darin, dass systematisch die Prinzipien der wohltemperierten Polyphonie verletzt wurden, wie sie sich aus den platonischen Körpern ableiten. Ein rein willkürlicher Effekt, der kein streng definiertes Problem löst, wird als „Kreativität“ verkannt, etwa in der Unsinnsmusik von Schönberg. Willkürliche Höreindrücke sind die typischen Alternativen zu den „intellektuellen Modernisten“. Manchmal findet man sogar eine Kombination von beidem. So bieten die Musiker dem Publikum, das ohnehin Musik nur so hört, wie man Kreuzworträtsel auf dem Weg zur Arbeit in der U-Bahn löst, nichts als Ohrensalat. Der Versuch, diesem Ohrensalat einen Sinn abzugewinnen, gilt dann als „ästhetische Würdigung“. Und wenn man dieser Musik müde wird, dann gibt man sich den bestialisch-dionysischen Rhythmen des Rockkonzerts hin.

Die Rockfans, die Romantiker und die „Modernisten“ befinden sich im „Inferno“. Eine passable Komposition, die sich der klassischen Methode bedient und gleichsam zur Übung eine Lösung für ein bestimmtes Entwicklungsproblem anwendet, die ein ernsthafter Komponist bereits gefunden hatte, bringt uns auf die Ebene von Kants „Fegefeuer“. Ein Durchbruch zu den Entwicklungsprinzipien, wie wir ihn bei Beethovens Kompositionen kennen, ist die Ebene des „Paradieses“.

Der Musiker, der heute der Ebene des Fegefeuers entspricht, ist gewöhnlich ein kompetenter Musiker, der sich darüber wundert, dass er trotz seiner angeblich meisterhaften Interpretationsfähigkeit nicht komponieren kann. Betrachtet man jedoch die Prinzipien, die er seiner Interpretation zugrunde legt, wird sofort deutlich, warum er kein klassisches Werk komponieren kann. Er will nichts von der strengen Methode wissen, die der synthetischen Geometrie entspricht und von der sich die klassische Komposition ableitet. Er befasst sich zu sehr damit, „wie es klingen soll“, anstatt sich mit streng definierten musikalischen Ideen auseinanderzusetzen.

Das allgemeine Prinzip, aufgrund dessen der technische Fortschritt moralische Veränderungen von der einen der drei Ebenen zu einer anderen bewirkt, besteht darin, dass unsere Ideen und unsere Moral in den zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb der Gesellschaft angesiedelt sind. Diese Beziehungen weisen zwei voneinander abhängende Aspekte auf, denen wir uns jetzt zuwenden. Der erste ist die Frage, wie wir andere Menschen bewerten; der zweite die Art und Weise, wie wir das gemeinsame Ziel definieren, auf das die Aktivitäten der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft im Sinne kollektiver Wirkung gerichtet sind. So wie das Prinzip des technologischen Fortschritts letztere Zieldefinition beeinflusst, so definiert sich für uns der praktische Wert anderer Personen.

Eine Gesellschaft, die keinen technologischen Fortschritt kennt, ist aufgrund dieses Mangels zu einer bestialischen gesellschaftlichen Praxis verdammt. So wie wir uns selbst von den schöpferischen Fähigkeiten anderer abhängig sehen, bewerten wir andere nach ihren schöpferischen geistigen Fähigkeiten. Nur unter solchen Umständen betrachten sich die Mitglieder einer Gesellschaft im allgemeinen gegenseitig als Menschen. Die letztere Bedingung ist für all jene Gesellschaften charakteristisch, deren Bevölkerung im Kantschen Sinne „moralisch“ ist. Im Fegefeuer stellen wir fest, dass die menschliche Qualität schöpferisch-geistiger Fähigkeit notwendig ist, um technische Fortschritte zu entdecken und zu assimilieren. Und wir erkennen auch, dass davon und von dem vernünftigen gesellschaftlichen Verhalten der Menschen unser eigenes Wohlbefinden abhängt.

Der technische Fortschritt muss als unerlässliches Mittel zur Entwicklung der schöpferisch-geistigen Fähigkeiten bewertet werden, anstatt die Entwicklung geistiger Fähigkeiten als Mittel zu begreifen, mittels derer die materiellen Vorteile des technologischen Fortschritts geerntet werden können. Sobald man aus Liebe zur Entwicklung anderer technologischen Fortschritt als allgemeine gesellschaftliche Praxis verfolgt, und zwar zur geistigen Entwicklung anderer und seiner eigenen Person, dann nähert man sich den Toren des Paradieses.

Umgekehrt verschließen wir mit einer Pädagogik, wonach Jugendliche nur im Hinblick auf ihre Tätigkeit als Erwachsene, ihren zukünftigen Beruf etc. ausgebildet werden sollen, die Tore des Paradieses. Wenn wir technologischen Fortschritt in Wort und Tat geringschätzen, so kann eine solche Haltung die Bevölkerung jeder Gesellschaft vom Fegefeuer in die existenzialistische Amoralität des Infernos hinabziehen.

Die notwendige Politik – im Allgemeinen

Soll uns unsere Liebe zu den Stufen des Paradieses führen, so muss sie zwei wesentliche politische Grundsätze befolgen. Zunächst müssen wir darin übereinstimmen, das relative Bevölkerungsdichte-Potenzial der Menschheit als Ganzes zu erhöhen und zu diesem Zweck fortschrittliche Technologie, soweit verfügbar, einzusetzen, um die Mehrheit der Menschheit aus der bedrohlichen Lage zu befreien, in die sie durch die Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit und die gegenwärtige wirtschaftliche Zusammenbruchskrise geraten ist. Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, in den nächsten zwei Generationen diesen Planeten bis auf den letzten Rest von jeder wirtschaftlichen Ungerechtigkeit zu befreien. Zweitens müssen wir uns gleichzeitig einem höheren, gemeinsamen Ziel für die Menschheit widmen: der Erschließung und Kolonisierung des Weltraums, zu welch höherem Zweck auch immer dies später die Menschheit führen mag.

Funktion dieser zwei Grundsätze ist die Festlegung einer praktischen Politik für die Menschheit sowie unser gemeinsames Bewusstsein über den Zweck dieser Politik. Dadurch wird sich ein allgemeingültiges Bild von Mensch und Universum herausbilden, das mit den moralischen Anforderungen des Paradieses in Einklang steht.

Der Malthusianismus und seine bösartigen kulturellen Wertvorstellungen müssen sofort aus der Politik von Nationen verschwinden, was immer an gesetzlichen und rechtlichen Initiativen dafür notwendig sein mag. Malthusianismus als politische Meinung hat nach dem Naturrecht keine Existenzberechtigung. Malthusianische Praxis muss wie jedes andere Kapitalverbrechen betrachtet und entsprechend geahndet werden, und malthusianische Propaganda muss als Ausdruck krimineller Denkart gelten. Jene Menschen, deren Tod die Malthusianer auf dem Gewissen haben würden, haben ein Recht zu leben, und kein Malthusianer hat, aus welchem Grund auch immer, das Recht, ihnen auch nur eine Sekunde lang nach dem Leben zu trachten. Er hat kein Recht, ihnen durch Propaganda einzuflößen, sie sollten freiwillig ihren eigenen Tod akzeptieren. Euthanasie ist selbst mit Zustimmung des Opfers ein Kapitalverbrechen, insbesondere dann, wenn die Zustimmung durch sozialen Druck herbeigeführt wird.

Wir können uns jedoch mit der Macht des Gesetzes nicht länger zufrieden geben, so wie wir auch nicht damit zufrieden sein können, eine wachsende Zahl von Drogenabhängigen und -händlern hinter Gitter zu setzen. Wir müssen das Übel an der Wurzel packen. Wir müssen die Kultur verändern, die kulturellen Leitbilder potenzieller Verbrecher und anderer Übeltäter. Wir brauchen eine neue kulturelle „Infrastruktur“: Wissenschaftlicher und technischer Fortschritt muss zur unantastbaren Politik von Staaten und zwischenstaatlichen Beziehungen werden, damit Menschen auch moralisch menschlich sind und dem Naturgesetz durch das Wohlergehen und zum Nutzen eines jeden menschlichen Individuums entsprochen wird.

In dieser Schrift sind wir sehr konkret darauf eingegangen, welche moralische Verantwortlichkeit führende Kreise Großbritanniens und des Ostküsten-Establishments der Vereinigten Staaten für den afrikanischen Sklavenhandel, den chinesischen Opiumhandel sowie politische Verbrechen, die mit Hilfe der Pugwash-Konferenzen vollbracht wurden, tragen. Schon aus diesem Grund ist es angebracht, wenn wir nun mit einem hoffnungsvollen Blick auf Großbritannien schließen.

Jene in Großbritannien und den Vereinigten Staaten (und anderen Ländern), die die Pugwash-Konferenzen und deren Absichten gefördert haben, haben uns an den Rand eines allgemeinen Atomkriegs gebracht. Wir stehen kurz davor, dass die Zivilisation entweder unter den vier apokalyptischen Reitern oder unter sowjetischer Weltherrschaft zusammenbricht.

Jetzt ist es an der Zeit, dass angesichts der wachsenden, unmittelbaren Gefahren die Vereinigten Staaten, Großbritannien und andere Nationen aufwachen müssen. Diese Länder müssen ihre Wirtschaft wieder in Schwung bringen und dazu die fortschrittlichsten Technologien, die heute und in der unmittelbaren Zukunft verfügbar sind, einsetzen. Wir können deshalb hoffen, dass diese Mobilisierung des größten Teils der Weltwirtschaft nicht Vorläufer eines baldigen allgemeinen Krieges sein wird. Wir dürfen auch hoffen, dass die Erhebung des menschlichen Geistes und der menschlichen Moral in den betroffenen Nationen nicht wieder nur ein vorübergehender Fortschritt für die Menschheit ist. Wir dürfen hoffen, dass die Vorteile, die eine Abwendung der unmittelbaren Gefahr bringt, über die unmittelbare Krise hinaus Bestand haben werden, dass wir alle aus der Reflektion über den Prozess, der uns in solche Gefahr gebracht hat, etwas gelernt haben, und dass wir danach trachten, uns selbst zu verändern und uns endlich von jenen Prinzipien von Lust und Schmerz zu befreien, die uns entwürdigt und gleichzeitig an den Rand der Katastrophe gebracht haben.

Ermuntern wir uns gegenseitig, als Menschen und Nationen, den kulturellen Wiederaufbau unserer Gesellschaft in die Hand zu nehmen! Und machen wir jene Anschauung vom Menschen im Universum, wonach jedes Menschenleben heilig ist und seine moralische Fruchtbarkeit von uns allen geschützt und gefördert wird, zum universellen Gebot unter allen Nationen!