Am 23.Oktober 2012 hielt sich Thomas Pringle, parteiloses Mitglied des Dáil Éireann (irisches Nationalparlament) für Anhörungen zur Rechtsklage gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus in Luxemburg auf. Er selbst hatte die Klage beim Europäischen Gerichtshof erhoben. Obwohl EU-Recht die Finanzierung von Staatsschulden durch Bailouts verbietet, ist der ESM aus keinem anderen Grund als der staatlichen Finanzierung bankrotter Banken als permanenter Rettungsfonds gegründet worden. Damit die rechtlichen Hindernisse sich nicht sperrend in den Weg stellen, wurde der ESM zu einem Abkommen zwischen Einzelstaaten erklärt, das dem EU-Recht nicht unterworfen ist.
Claudio Celani von E.I.R. führte das Interview mit Thomas Pringle während einer Anhörungspause.
E.I.R.: Herr Pringle, wir haben heute hier in Luxemburg vor dem Europäischen Gerichtshof Ihre Argumente gegen den ESM, den europäischen Rettungsfonds, gehört. Ihr Anwalt sagte im wesentlichen, daß der ESM gegen das geltende europäische Recht verstößt. Dann hörten wir die Argumente von insgesamt mehr als einem Dutzend Vertretern der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments, des Europäischen Rates etc., und es ist noch nicht zuende, wir sind gerade in einer Pause. Aber können Sie mir schon jetzt sagen, ob Sie überzeugende Argumente von Seiten Ihrer Gegner gehört haben?
Pringle: Ich denke, mit einem Wort: nein. Es ist sehr interessant, sich die Vorträge aus den anderen Mitgliedstaaten anzuhören. Natürlich waren sie alle an der Entscheidung beteiligt, den ESM zu schaffen, und deshalb müssen sie ihre Position verteidigen. Interessanter als das, was sie angesprochen haben, ist aber, was sie nicht angesprochen haben. In keinem der bisherigen Beiträge wurde angesprochen, wie man die Verträge hätte ändern können, um dies [den ESM] zu ermöglichen. Offensichtlich haben sie aus irgendwelchen Gründen beschlossen, das nicht zu tun und den ESM außerhalb der Union zu gründen. Ich finde das interessant, daß niemand von ihnen angesprochen hat, wie man das hätte tun können. Sie sagen, sie hätten keine andere Option gehabt, aber wir haben immer argumentiert, daß es andere gab.
E.I.R.: Es gab auch einige Argumente, die in den politischen Bereich führten. Beispielsweise sagte der deutsche Vertreter, neben anderen, daß man diese Diskussion in ihren Kontext stellen müsse, er zog es also ins Politische. Er sagte im wesentlichen, wenn die Legalität des ESM in Zweifel gezogen würde, dann würde das die Märkte aufbringen und das wäre der Untergang des Euro und Europas. Halten Sie das für Angstmache?
Pringle: Die Entscheidung, den ESM zu schaffen, wurde ja im Oktober 2010 getroffen, vor inzwischen gut zwei Jahren. Und man weiß, wie die sogenannten Märkte in dieser ganzen Zeit reagiert haben. Es hätte wohl nicht mehr Instabilität geben können, als wir sie hatten, seit diese Entscheidung getroffen wurde. Deshalb halte ich es für sehr wichtig, daß dieses Gericht die Politik außen vor läßt und von den Verträgen als der Grundlage der Union ausgeht und nur die darin enthaltenen Ziele betrachtet. Ich halte es für falsch, die Politik hinein zu bringen und die politische Lage zu betrachten, wenn man vor dem Gericht argumentiert.
E.I.R.: Ich war auch erstaunt über die Rede des britischen Vertreters…
Pringle: Ja.
E.I.R.: … denn die Briten sind nicht im Euro, aber sie sind in der Europäischen Union und offenbar zeigte die Rede des britischen Vertreters, daß es ihnen nicht um den Euro ging, denn dann würden sich die Briten nicht darum kümmern, es wäre ihnen egal. Oder wie sehen Sie ihre Rolle?
Pringle: Ich nehme an, wenn man die Londoner City und die Finanzdienste dort betrachtet, die sind zwar kein Mitglied der Eurozone, aber sie sind mit der Eurozone sehr eng verbunden. Und so würden sie das Überleben der Eurozone und den Schutz des Euro als etwas sehr wichtiges auch für ihr eigenes Interesse betrachten. Und aus diesem Grunde nehme ich an, daß sie dem Zusatz zu Artikel 136 [des Vertrags über die Arbeitsweise der EU] zugestimmt haben, weil es in ihrem Interesse liegt.
E.I.R.: Treten wir damit einmal einen Schritt zurück von der Diskussion über die Legalität und kommen wir zur Politik und zur Wirtschaft. Ich meine – das wirft doch die Frage auf, wofür der ESM da ist. Ist er für den Euro da, für den Staat, oder für die Rettung der Banken?
Pringle: Nun, ich denke, es ist offensichtlich, daß er für die Banken da ist. Und er dient dazu, die irische Bankenrettung auf ganz Europa auszuweiten, so daß die Bürger für die Schulden der Banken verantwortlich gemacht werden. Dabei sind sie nicht verantwortlich für deren Anhäufung. Aber in Zukunft werden die Bürger dafür verantwortlich sein: Der ESM soll den souveränen Staaten Geld leihen, die dieses Geld benutzen werden, um die Banken zu rekapitalisieren. Und die Bürger dieser Staaten sind für die Rückzahlung dieses Geldes verantwortlich. Damit ist es eine irische Bankenrettung für ganz Europa.
E.I.R.: Ja. Ihr Land, Irland, wurde ja zum Opfer, weil man in Euroland die Banken nicht scheitern lassen darf. Also treten die Steuerzahler ein und retten die Banken. Hätten wir von Anfang an eine strikte Trennung gehabt – worüber derzeit diskutiert wird – zwischen Geschäftsbanken, die von der Regierung geschützt werden, und Investmentbanken, die spekulieren, dann wäre das nicht der Fall gewesen. Sind Sie auch dafür?
Pringle: Ja, das wäre nicht der Fall gewesen, wenn wir eine effektive Regulierung gehabt hätten. Wir wären auch nicht in der jetzigen Lage, wenn die deutschen, französischen und englischen Banken bei ihren Krediten an die irischen Banken verantwortlich gehandelt hätten. Wir wären dann gar nicht in diese Lage gekommen, die irischen Probleme wurden also nicht nur von Irland geschaffen. Es ist ein Problem der Regulierung und der neoliberalen Politik und des Marktkapitalismus, wie es sich in den vergangenen Jahren fortgesetzt hat. Und ich denke, daß wir die Banken für ihre eigenen Schulden verantwortlich machen müssen.
Bis jetzt haben wir in Irland unseren Banken mehr als 80 Mrd. Euro gegeben, und wir werden in den nächsten 30 Jahren möglicherweise weitere 50 Mrd. Euro ausgeben müssen, um die Anglo-Irish Bank zu retten. Und all das, um den Euro zu schützen! Das irische Volk wird für alle diese Schulden verantwortlich gemacht, und letzte Woche haben wir sogar noch einmal 508 Mio. Euro in den ESM einbezahlt. Obwohl Deutschland und andere Länder sagen, das könne unsere Probleme nicht rückwirkend lösen. Das zeigt die Absicht, die Bürger für das Bankensystem verantwortlich zu machen und nicht die Banken selbst.
E.I.R.: Es gibt die ungelöste Finanzkrise und die sich verschlimmernde Wirtschaftskrise, die Welt geht wieder in eine Rezession, und da sind sehr düstere Wolken am Horizont. Aber es gibt auch große düstere Wolken am politischen Horizont der Welt in Bezug auf die wachsenden Konflikte. Sehen Sie da einen Zusammenhang? Gibt es eine Gefahr, daß wir uns auf einen allgemeinen Konflikt zu bewegen, wenn die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise nicht gelöst wird?
Pringle: Die Gefahr besteht. Was die zunehmende Unsicherheit angeht, denke ich, daß die Schritte, die man unternommen hat, und die derzeitige Sparpolitik, die überall in der Eurozone und der übrigen Welt durchgesetzt wird, diese Krise anheizt und sie noch schlimmer macht. In Irland sagt uns die Regierung, man könne der Wirtschaft Geld entziehen kann und trotzdem erwarten, daß sie wachsen wird. Aber in den letzten vier Jahren haben wir gesehen, daß das nicht geht! Und wenn man auf dem ganzen Kontinent so verfährt? Wir in Irland sind jedenfalls in einer Lage, wo jeder Zehnte sich nicht mehr selbst ernähren kann. 80.000 Menschen jährlich verlassen das Land, um in andere Länder zu gehen und dort zu arbeiten. Aber wenn die weltweite Abschwächung der Wirtschaft anhält, heißt das, daß sie nirgendwohin gehen können. Und das wird das Potential für Konflikte noch vergrößern.
Eigentlich müßten die Regierungen die Verantwortung für ihre Bürger übernehmen statt für die Banken, sich diesen Fragen widmen und eine Lösung für die Schulden finden, statt mehr Schulden hinzuzufügen.
E.I.R.: Das Verfahren wird in anderthalb Stunden fortgesetzt und irgendwann in der Zukunft wird das Gericht dann ein Urteil oder eine Stellungnahme abgeben. Wenn das Gericht die Europäische Union und die Regierungen unterstützen sollte, haben wir dann eine Tyrannei?
Pringle: Ich möchte gar nicht darüber nachdenken, was geschehen wird, wenn sie das tun. Ich glaube, das wäre für die Demokratie und für die Bürger in ganz Europa ein sehr schlimmer Tag. Das bedeutete, daß die Methode, mit denen heute zwischen den Regierungen entschieden wird, für die Zukunft festgeschrieben würde. Wir würden erleben, wie die großen und wirtschaftlich starken Länder dominieren und anderen Ländern ihren Willen aufzwingen, und ich glaube, das wäre für die Union sehr schlecht.
E.I.R.: Offenbar eine große Herausforderung für das Gericht. Ich danke Ihnen, Herr Pringle.
Pringle: Vielen Dank.