Wie alles begann

Obwohl inzwischen klar bewiesen ist, dass Eisbären gar nicht auf die Arktis angewiesen sind, sondern auch in Berlin sehr gut leben können, wird weiter viel Rummel um das Klima gemacht. Dass der Handel mit CO2-Emissionsrechten ein ganz hübsches Geschäftchen ist – die Branche nimmt sich Umsätze in dreistelliger Milliardenhöhe vor –, wird dabei in der Regel etwas leiser gesagt. Wenn man davon nur, sagen wir mal, ein Fünftausendstel willigen Wissenschaftlern zukommen lässt, werden die aus ihren Computern doch wohl die erwünschten Ergebnisse rausholen können, oder?

Eulenspiegel hat sich bereits vor ein paar Jahren mit den Emissionsrechten beschäftigt – und ist zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen! Hier sind sie noch einmal.

Wussten Sie eigentlich, dass die Idee mit den Emissionsrechten einen prominenten Vorgänger hat? Wir konnten die entsprechenden Unterlagen in einigen verstaubten Archiven ausfindig machen.

Es geschah im Jahr 1899. Kaiser Wilhelm regierte, die Männer ließen sich Kaiserbärte wachsen und die Frauen trugen Röcke, in denen sie kaum laufen konnten. In dieser scheinbar heilen Welt braute sich in den Städten ein gewaltiges Gesundheitsproblem zusammen: die Pferdeäpfel. Der zunehmende Verkehr hinterließ immer gewaltigere Haufen in den Straßen, die fürchterlich stanken und Ungeziefer anlockten, das Krankheiten verbreitete. Gleichzeitig fraßen die Pferde den armen Leuten das Brot vom Tisch, weil man auf immer mehr Ackerland Pferdefutter anbaute, das mehr einbrachte.

Angesichts dieser Not wurde ein Experte, Herr Professor Gerassel vom Max-Krank-Institut, damit beauftragt, die Angelegenheit streng wissenschaftlich zu untersuchen. Dieser Pferdemistfolgenabschätzungsexperte ließ von einem Heer von Buchhaltern folgendes ausrechnen: Mit dem Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum werde das Verkehrsaufkommen so steigen, dass spätestens 1950 sämtliche Städte Europas im Pferdemist ersticken, Krankheiten ihre Einwohner hinwegraffen und wichtige Tier- und Pflanzenarten aussterben, weil das letzte Stückchen Natur dem Pferdefutteranbau weichen muss.

Die Pferdemistfolgenabschätzungsexperten erstellten erschreckende Prognosen: Immer mehr gesellschaftliche Ressourcen müssten darauf verwendet werden, den Pferdekot einzusammeln, fortzuschaffen und zu verarbeiten; die Zahl der Straßenfeger werde geometrisch ansteigen. Hunderttausende von Umweltflüchtlingen würden die Städte verlassen, Europa mit Umweltasylanten überschwemmt, die politische Stabilität völlig untergraben. Wahrscheinlich käme es zu neuartigen weltweiten Verteilungskriegen.

Die großen Monarchien Europas wurden dringend aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um diese gefährliche Entwicklung im Ansatz zu stoppen. Sie sollten internationale Konferenzen anberaumen, um Vereinbarungen zur Minderung des Pferdeäpfeleintrags zu treffen.

Aber noch bevor eine solche Konferenz stattfinden konnte, begannen die Experten zu streiten: Sollten die Pferdeäpfelabgabequoten für alle Länder gelten oder nur für die wohlhabenderen? Marktwirtschaftler plädierten für „gleiches Recht für alle“ im Sinne des freien Wettbewerbs. Vorläufer der Globalisierungskritiker setzten dem entgegen, das sei ungerecht gegenüber den ärmeren Ländern und Kolonien.

Inmitten dieses erbitterten Streites kam ein cleverer Pferdemistfolgenabschätzungsexperte auf die rettende Idee: Man könnte doch einen weltweiten Handel mit Pferdeäpfelrechten organisieren! Pferdekotquotenwertpapiere! Beide Seiten wären zufriedengestellt: Einerseits wäre es eine quasi marktwirtschaftliche Regelung des Zuteilungsproblems, weil solche Papiere von denen gekauft würden, für die der Nutzen aus den Rossäpfeln am größten oder deren Vermeidung am teuersten wäre. Andererseits erhielten ärmere Länder ein Mindestkontingent von Pferdeäpfelquotenscheinen, das sie dann an die reicheren Länder weiterverkaufen können (zum Beispiel um mit dem Erlös ihre Schulden zu begleichen). Man müsste dazu eine Weltorganisation gründen, die sich selbst und die Kosten der – notfalls natürlich gewaltsamen – Durchsetzung der Quoten aus dem Verkauf solcher Papiere finanziert.

Die teuren Papiere wären für die Betriebe ein nicht unerheblicher Anreiz, die Frachtleistung der Pferde durch Menschen zu ersetzen, wodurch auch als positiver Nebeneffekt die Beschäftigung wüchse. Zusätzlich könnte man zum Beispiel Prämien für die Einstellung von Lastenträgern zahlen. Wichtig zur Aufrechterhaltung der Volkszufriedenheit wäre nur, dass die öffentliche Propaganda den Einsatz von Lastenträgern statt der Pferdefuhrwerke als fortschrittlich und als den neuesten Stand der Technik lobt. Man könnte beispielsweise in allen Haushalten Fotografien verbreiten, auf denen der Kaiser ein paar gutgelaunten Lastenträgern aufmunternd auf die Schulter klopft.

Professor Gerassel und seine Kollegen hatten noch viele weitere Ideen. Forschungseinrichtungen sollten neue Pferderassen züchten, die bei gleicher Zugleistung weniger Häufchen hinterlassen. Andere sollten alternative Hafersorten finden, bei deren Verdauung im Pferdemagen weniger Pferdeäpfel abfallen. Die Presse sollte diesen Neuen Technologien die gehörige Aufmerksamkeit zukommen lassen. Und man sollte fortschrittlich-patriotische Jugendorganisationen fördern, die solche Lösungsvorschläge als einzig wahren Weg in die Zukunft feiern und Uneinsichtige als „Ewiggestrige“ und „Extremisten“ bekämpfen.

Die Planungen schritten immer weiter voran. Namhafte Künstler fertigten bereits Entwürfe für die grafische Gestaltung der Pferdekotquotenwertpapiere an, mit einem geschmackvoll gezeichneten Rossapfel und daneben den Köpfen der wichtigsten gekrönten Häupter der Welt: Kaiser, Zar und Königin Viktoria.

Aber dann wurde aus den ganzen schönen Plänen doch nichts, weil Gottlieb Daimler das Automobil erfand.

– So war das damals. Glücklicherweise sind wir heute schon viel weiter als vor hundert Jahren. Oder etwa nicht? Es grüsst Ihr Eulenspiegel